Symposium: Wirksamkeit von Interventionen
Das Symposium verhandelt die Frage nach der Wirksamkeit am Beispiel von Interventionen im internationalen und hamburgspezifischen Kontext. Wie greifen konkrete Praxen in den (Zwischen-)bereichen von Kunst, Gestaltung, Architektur, kuratorischer Praxis und politischem Aktivismus in gesellschaftliche Kontexte ein? Was sind die jeweiligen Intentionen und Ansprüche? Wie lässt sich Wirksamkeit bemessen? Welches Verständnis von Wirksamkeit legen die Akteur_innen ihren Eingriffen zugrunde? Könnte man die Wirksamkeit – im Sinne François Julliens – auch anders denken; nicht als Modell, sondern als Entfaltung eines Situationspotentials?
Donnerstag, 1. November 2012
»Interventionen im internationalen Kontext«
15.00 Uhr
Einführung Friedrich von Borries (HFBK Hamburg)
15.30 Uhr
CANVAS (Center for Applied NonViolent Action and Strategies/ Zentrum für angewandte gewaltfreie Aktionen und Strategien, Belgrad): "Eine Revolution ist
letztlich nichts anderes als eine Werbekampagne", sagt Srdja Popovic,
Gründer der Gruppe CANVAS. Das von ihm mitverfasste Buch „50
entscheidende Punkte für den gewaltlosen Kampf“ wird derzeit vor allem
in der arabischen Welt verschlungen.Hervorgegangen aus der Gruppe
Otpor (Widerstand), die die autoritäre Staatsführung Milosevics mit
immer neuen, gewaltfreien Interventionen und Kampagnen unter Druck
setzte und somit 2000 zum Sturz verhalf, geben die AktivistInnen um die
Gruppe CANVAS mit ihrem Zentrum für angewandte gewaltfreie Aktionen und
Strategien nun Revolutionshilfe für AktivistInnen aus aller Welt. Die
Voraussetzung für Revolution sowie deren Durchführung ist planbar: Gute
Planung, strikte Gewaltfreiheit und kreative Aktionen.
16.15 Uhr
Pause
16.30 Uhr
Joanna Warsza ist in Polen geboren, studierte dort und in Paris
an der Akademie für Theater und lebt zur Zeit in Berlin und Warschau.
Mit Artur Zmiejweski und der Gruppe Voina kuratierte sie die letzte
Berlin Biennale, die für die Wirksamkeit der Kunst plädierte. 2007
gründete sie die „Laura Palmer Foundation“, eine Plattform, für
unterschiedlichste Projekte, die häufig in den öffentlichen Raum
intervenieren. „The label produces actions that examine social and
political agendas, conceptual exhibitions, participation events, staged
situations and performances.” Viele ihrer Projekte führte sie in
Kooperation mit Museen und Theaters durch, u.a. mit dem Hebbel am Ufer,
dem Museum für Moderne Kunst Warschau und dem Centre Pompidou in Paris.
Sie ist Herausgeberin des Sammelbandes „Stadium X – A Place That Never
Was“, in dem ihre ortsspezifischen Interventionen in ein ehemaliges
kommunistisches Stadium in Warschau dokumentiert werden
17.15 Uhr
Voina ist
eine russ. Kunstgruppe, die sich mit provokanten Kunstaktionen gegen die
russischen Autoritäten richtet und diese stürzen möchte. International
bekannt wurden sie mit der Zeichnung eines 65m großen Phallus auf einer
Zugbrücke vor dem Petersburger Geheimdienstgebäude. Ihre jüngsten
Kunstaktionen bestanden aus dem Anzünden von Gefangenentransportern und
Kampagnen zur Befreiung politischer Gefangener in Russland. Sie werden
als kriminelle Vereinigung verfolgt und sind staatlichen Repressionen
ausgesetzt, gleichzeitig wurden sie 2011 mit einem Innovationspreis
ausgezeichnet, der vom staatlichen Zentrum für zeitgenössische Kunst
vergeben wird. Zudem waren sie Mitkuratoren der Berlin Biennale 2012.
18 Uhr
Pause
19 Uhr
François Jullien ist Philosoph und
Sinologe. Nach seinem Studium in Paris und Shanghai hat er sowohl im
Fach Ostasiatische Studien als auch in Literaturwissenschaften
promoviert. Seit 2004 lehrt er als Professor an der Universität Paris
VII klassische chinesische Philosophie und Ästhetik. Er ist zudem als
Wirtschaftsberater französischer Unternehmen, die Projekte in China
durchführen, tätig. 2010 erhielt er den Hannah-Arendt-Preis für
politisches Denken. François Jullien hat zahlreiche Publikationen
herausgebracht, in denen er den Unterschieden des westlichen und
chinesischen Denkens nachgeht, u.a. „Über die Wirksamkeit“ (1999) und
„Vortrag vor Managern über Wirksamkeit und Effizienz in China und im
Westen“ (2006). Er nimmt darin einen Vergleich europäischer und
chinesischer Wirksamkeitskonzepte vor und stellt dem europäischen
Verständnis, bei dem die Wirkung als Modell direkt anvisiert wird, das
chinesische Verständnis zur Seite, das die Wirksamkeit eher als
Geschehnis denkt. Statt die Wirkung anzustreben, wird sie aufgenommen:
„Anstatt intervenieren zu wollen, genügt es, dieses Potential zu nutzen:
reifen zu lassen.“
Freitag, 2. November 2012
»Interventionen in Hamburg«
Stadtplanerische und architektonische Interventionen
11 Uhr
Diskussionsrunde mit Schorsch Kamerun, Bernd Kniess und Christoph Twickel.
Schorsch Kamerun ist Sänger, Autor,
Theaterregisseur und Clubbetreiber. Er war 1984 Gründungsmitglied und
ist bis heute Sänger der Hamburger Punkband Goldene Zitronen. Zusammen
mit Rocko Schamoni und anderen betreibt er den Golden Pudel Club in
Hamburg. Er ist zudem als Theaterregisseur und -autor tätig. Im Dezember
2010 startete Kamerun eine Reihe von „Erfindungsabenden“, eine Mischung
aus Gespräch, Konzert und Performance. Anfang März 2012 brachte er sein
neuestes Projekt, eine „musiktheatralische Recherche“ mit dem Titel
„Die Verschwundenen von Altona“, im Hamburger Thalia-Theater auf die
Bühne. Im August bot er im Rahmen des Sommerfestivals auf Kampnagel eine
Hafenkonzertrundfahrt an.
Bernd Kniess ist ausgebildeter
Landschaftsgärtner und studierter Architekt und Städteplaner. Seit 1995
ist er als Architekt und Stadtplaner in unterschiedlichen
Konstellationen tätig und arbeitet seit 2001 er unter eigenem Namen in
unterschiedlichen Partnerschaften und Allianzen. 2008 wurde er als
Professor für Städtebau/Urban Design an die HCU Hamburg berufen und
leitet dort den Masterstudiengang Urban Design. Sein Interesse gilt
einer "Diagrammatik" der zeitgenössischen Stadt sowie eines relationalen
Planungsverständnisses und der Frage, wie dies in eine kritische Praxis
als Verfahren überführt werden kann. 2008 initiierte er das Lehr- und
Forschungsprojekt "Universität der Nachbarschaften" (UdN). Dabei handelt
es sich um ein integrierenden Arbeits- und Veranstaltungsort, der
ebenso Raum des Lernens und Forschens ist, wie ein Ort der Begegnung
unterschiedlicher Kulturen und Erfahrungen. Kniess ist seit 2009 Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.
Christoph Twickel ist Journalist und Autor
aus Hamburg. Er arbeitet als Radio-Moderator für den NDR und ByteFM, als
Autor für Spiegel Online, Spex, Brand Eins und andere Zeitschriften.
2006 veröffentlichte er bei der Edition Nautilus das Buch „Hugo Chávez.
Eine Biographie“, im selben Verlag gab er 2003 „Läden, Schuppen,
Kaschemmen. Eine Hamburger Popkulturgeschichte" heraus und gemeinsam mit
Karl-Heinz Dellwo und Tina Petersen das Interviewbuch "Das Projektil
sind wir" (2007). Von 1999 bis 2003 war er Redaktionsleiter und
Chefredakteur der Stadtzeitschrift Szene Hamburg. Im September 2010 ist
sein Buch "Gentrifidingsbums oder Eine Stadt für Alle" erschienen
(Edition Nautilus). Er hat die Hamburger »Recht auf Stadt«-Bewegung
als Journalist begleitet und ist als Mitinitiator und Sprecher von »Not
In Our Name, Marke Hamburg« zu einem ihrer Protagonisten geworden. Zudem
ist er Mitglied des Hamburger Kollektiv "Schwabinggrad Ballett"
13 Uhr
Mittagspause
14 Uhr
Aktivistische und künstlerische Interventionen
Das sich aus drei
Hamburger Künstlern (Brent Dahl, Felix Jung, Marc Einsiedel)
zusammensetzende Kollektiv We are visual schafft mittels Interventionen Kunst im
öffentlichen Raum. Der öffentliche Raum wird von ihnen dabei nicht als
Plattform verstanden: Sie eignen ihn sich an. Der Stadtraum wird zur
„Ressource“ und ist somit Ideen- und Material-Lieferant sowie
Austragungsort zugleich. Ihre Interventionen verstehen sie als „kreative
Problemlösung und Entscheidungsfindung“, die eine eindimensionale
Nutzung des Raumes hinterfragt, um der Komplexität und Dynamik realer
Gesellschaft gerecht zu werden. Dabei spekulieren sie auf die
unerwarteten Reaktionen des Publikums. Darüber hinaus unterstützt WAV
als Kuratorenteam ausgewählte Künster_innen im Galerieraum der Fabrik im
Gängeviertels.
15 Uhr
Harald Lemke ist Philosoph, Kurator,
Autor und Lehrbeauftragter an der Leuphana Universität in Lüneburg.
Seine inhaltlichen Schwerpunkte sind Freundschaft, Essen, Gärtnern. 2008
hat er mit Anke Haarmann zusammen das Projekt „Kultur-Natur“ im Rahmen
des IBA-Sommer gestaltet. Er ist Mitinitiator des Nachbarschaftsprojekts
„Keimzelle – soziale Gärten für alle“ und hat sich im Rahmen des
„Grünareals“ für Mitbestimmungsprozesse bei der Neugestaltung der
Rindermarkthalle stark gemacht. Zuletzt ist von ihm das Buch „Politik
des Essens“ im transcript Verlag erschienen (nach „Ethik des Essens“ und
„Die Kunst des Essens“).
15.45 Uhr
Boran Burchhardt ist Künstler und Absolvent
der HFBK Hamburg. Er führte mehrere Interventionen im öffentlichen Raum
durch, die sowohl bestimmte Themen lancierten als auch in die
Mechanismen des Kunstmarktes eingriffen. So gestaltete er 2008 in
Kooperation mit der Centrum-Moschee in Hamburg die Minarette des
Gebetshauses neu. Diese wurden in einer gemeinsamen Aktion mit der
Gemeinde im weiß-grünen Fußallmuster lackiert und wieder auf die
Centrum-Moschee aufgesetzt. Dabei ließ sich Burchhardt statt einer
Entlohnung schriftlich zusichern, dass er die Minarette für eine
zukünftige Ausstellung ausleihen dürfte – im Kunstkontext würden sie
dann als autonome Skulpturen erscheinen. 2010 führte er auf
Einladung des Folkwang Museum und der Ausstellung „Hacking the City“ das
Projekt „3D§87 Deutschlandbilder“ durch, bei dem er Park- und
Halteverbotsschilder mit einem Aufkleber versah auf dem in verschiedenen
Sprachen die Frage stand: „Krank und ohne Papiere?“ Eine Arbeit, mit
der Burchhardt auf die mehr als prekäre Situation von Menschen ohne
Aufenthaltsstatus in Deutschland aufmerksam machte.
16.30 Uhr
Pause
17 Uhr
Kunst im öffentlichen Raum
Anne-Kathrin Reinberg arbeitet in der
Kulturbehörde und leitet dort das Kunst im öffentlichen Raum Programm.
Dieses existiert in Hamburg seit 1981. Es löste die vorher praktizierte
„Kunst am Bau“ Förderung ab. Als bundesweit am höchsten bezuschusstes
Programm entwickelte sich unter der Leitung von Volker Plagemann ein
progressives Verständnis von Kunst im öffentlichen Interesse, das den
Orts- und Kontextbezug der Arbeiten in den Vordergrund stellt.
Künstlerinnen und Künstler haben die Möglichkeit, sich mit
Projektvorschlägen für Arbeiten im öffentlichen Raum bei der
Kulturbehörde zu bewerben. Eine Kunstkommission aus örtlichen Experten
entscheidet dann über die Vergabe der Gelder.
17.45 Uhr
Franz Erhard Walther ist Künstler. Er studierte
von 1957 bis 1961 an der Werkkunstschule in Offenbach am Main und an
der Hochschule für Bildende Künste in Frankfurt. 1971 wurde Walther mit
32 Jahren als Professor an die Hochschule für bildende Künste Hamburg
berufen, wo er bis 2005 tätig war. Walther gilt als ein Wegbereiter
einer partizipativen Kunst, die sich vor allem über die Erfahrung des
Materials herstellt. In Form von Werksätzen soll der Betrachter
aktiviert werden für die Auseinandersetzung mit dem künstlerischen
Angebot, die Walther in Form von Werksätzen bereitstellt. Walther
wendete sich damit auch gegen ein überkommenes Kunstverständnis, das
„fertige“ Werke dauerhaft in Museen präsentiert und formulierte als
erster Künstler die Vorstellung einer immateriellen Kunst ("Handlung als
Werkform").
In Hamburg realisierte er 1989 das Projekt „Sieben Orte
für Hamburg“, das im Rahmen des Kunst im öffentlichen Raum Programms
entstanden ist. Walther nahm zudem an zahlreichen documenten teil. 2012
war er unter anderem mit einer Einzelausstellung im ZKM vertreten und
wird im Dezember auf der San Paolo Biennale ausstellen.
Konzeption und Moderation: Friedrich von Borries, Christian Hiller, Friederike Wegner, Anna-Lena Wenzel.
Das Symposium findet im Rahmen des von der DFG geförderten Forschungsprojektes »Urbane Interventionen« statt.