Extended Library als Proberaum
Die von Margarita Tsomou kuratierte Reihe von diskursiven und künstlerischen Aktivierungen transformiert die Extended Library im Wintersemester 2023/24 in einen Bewegungs- und Aktionsraum. In der Auseinandersetzung mit diesem Gegensatz liegt das Potenzial, die Modi der Konzeption und Produktion von Wissen zu befragen.
In diesem Cross Space, der zum Lesen, Schreiben oder Denken aber auch zum Performen, Trainieren, Tanzen oder Liegen, als gleichwertige Angebote von Wissenspraktiken, einlädt, können Codes und Hierarchien tradierter Wissensordnungen herausgefordert werden. Der Einzug von Operationen des Körpers in einen institutionalisierten Lernraum wie einer Hochschulbibliothek, lässt die Extended Library zu einem Proberaum werden, um die Grundbedingungen moderner Epistemologie zu befragen: Mit künstlerischen Forschungsexperimenten, Performance-Lectures, Ritualen, Tänzen, Tönen und Aktionen lädt der Proberaum dazu ein, sowohl Kritik als auch das Verlernen der etablierter Wissensformen zu üben und mittels verleiblichter Wissensproduktion die gegenwärtige epistemologische Krise inmitten planetarischer Ruinen zu adressieren.
In Anbetracht der Tatsache, dass die modernen Wissenschaften und ihre Wissensinfrastrukturen und -apparate im Zuge gewaltsamer Trennungen zwischen einem konstruierten „Mensch-Mann“, als Prototyp des Humanen und den Kolonisierten, Rassifizierten, Feminisierten und Naturalisierten „Anderen“ entwickelt wurden, navigiert die Reihe zwischen Positionen, die epistemologische Paradigmenwechsel vorschlagen.
Das Programm folgt diesen Gedankengängen mit Beiträgen von Claire Cunningham, Jule Flier/Antonia Baehr, Isabell Spengler, Agata Siniarska, Martha Hincapié Charry, Lina Majdalanie oder dem Fundus Forschungstheater.
Prof. Dr. Margarita Tsomou ist Kuratorin für Theorie und Diskurs am Theater Hebbel am Ufer in Berlin und Professorin für Zeitgenössische Theaterpraxis an der Hochschule Osnabrück.
Programm der Extended Library
7. Dezember 2023: BITE. Performative Forschungspräsentation von Agata Siniarska im Rahmen des Projekts Museum of the Anthropocene
Willkommen im Museum des Anthropozäns - inmitten von Bakterienkolonien, taxidermischen Kreaturen, allgegenwärtigen Gespenstern, Maschinentieren, Bomben, auslaufendem Öl aus den Mündern sterbender Organismen - alles vom menschlichen Körper performt. Ontologischer Status: unmöglich, aber mühsam versucht.
In den letzten Jahrhunderten hat der Mensch mit aller Kraft versucht, sich von nicht-menschlichen Organismen und nicht-menschlicher Materie abzugrenzen, obwohl diese Aufgabe unmöglich ist. Die performative Forschung und Praxis von Agata Siniarska sind Vorschläge, einen Bezug zu nicht-menschliche Wesen herzustellen und diese Versuche zu teilen. Es sind keine Lösungen, sondern Versuche, die die choreografischen Parameter von Zeit, Raum, Bewegung und Körper ungeschickt durcheinander bringen. Diese ständigen Proben schaffen Wissen, das Möglichkeiten bietet, das menschliche Sensorium, die körperliche Vorstellungskraft zu erweitern und so dem Nicht-Selbst näher zu kommen.
Wie können diese Experimente archiviert werden? Was wäre, wenn die Menschen die Materie nicht konservieren/einfrieren/aufzeichnen, sondern sie ihren eigenen Bedingungen überlassen und ihr erlauben, sich zu verwandeln? Können wir uns das Archiv als etwas Mobiles vorstellen, das der Bewegung folgt, anstatt sie zu verhindern? Wie ist das Archiv mit der Welt verbunden und wie sehr brauchen Archive eigentlich den Menschen?
Agata Siniarska arbeitet auf dem Gebiet der erweiterten Choreografie. Sie platziert ihre Praxis zwischen dem, wie wir über die Welt denken und wie wir uns in ihr bewegen. Es ist ein Ort, an dem sich Somatik und Politik überschneiden - ein Ort, an dem Körperwahrnehmung auf soziales Engagement trifft - zwischen somatischen und ökologischen Landschaften, zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Körpern. Agatas derzeitige Forschung erforscht die Idee eines Museums des Anthropozäns, Multi-Spezies-Archive in Zeiten von Krieg und Aussterben sowie verschiedene menschliche und nicht-menschliche Allianzen.
11. Oktober 2023: Eröffnung
Eröffnung der Extended Library mit einem Vortrag von Anselm Franke zur Bedeutung des Werks von Sylvia Wynter und eine performativ-partizipative Lesung von Sarah Lewis-Cappellari, die die Extended Library in einer Ceremony of Loss in einen Proberaum für Nicht-Wissen verwandelt.
Im Zentrum des von Margarita Tsomou kuratieren inhaltlichen Programms der neuen Extended Library stehen performative Darstellungsformen und -formate. Dafür wurde der 150 Quadratmeter große Vorraum der Bibliothek in einen transdisziplinärer Lern-, Arbeits- und Diskursraum verwandelt. Das künstlerisch-experimentelle Studio stellt Verknüpfungen zu multiplen Öffentlichkeiten her – sowohl innerhalb als auch außerhalb der Hochschule.
Bestandteil der Extended Library ist auch die neue Arbeit Group Hug (2023) von Valentina Karga, Grundlagenprofessorin für Design an der HFBK Hamburg.