2021/03/18: Stipendium für Nichtstun vergeben
Hilistina Banze, Mia Hofner und Kimberley Vehoff sind die Gewinnerinnen der drei mit jeweils 1.600 Euro dotierten Stipendien für Nichtstun, die die Hochschule für bildende Künste Hamburg (HFBK) und Friedrich von Borries (Professor für Designtheorie) im August 2020 ausgeschrieben hatten. Ihre Vorhaben und alle weiteren Einreichungen sind bis zum 18. Juli 2021 im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (MK&G) in der Ausstellung Schule der Folgenlosigkeit. Übungen für ein anderes Leben zu sehen.
Das Stipendium für Nichtstun hinterfragt die gängigen Mechanismen des Leistungsdenkens und lädt dazu ein, über die Verbindung der eigenen Lebenswirklichkeit mit dem Klimawandel und den gesellschaftlichen und politischen Strukturen nachzudenken. Aus insgesamt 2864 Bewerber*innen aus 70 Ländern wählte die Jury zunächst 14 Finalist*innen aus und kürte in einem zweiten Schritt die Gewinnerinnen.
HILISTINA BANZE
„Ich werde mein Kopftuch eine Woche nicht tragen“, so das Vorhaben der muslimischen Feministin. Die Sozialpädagogin und Integrationsberaterin aus Hamburg möchte ihr auf 3 mm kurzrasiertes Haar zeigen und so gleich mehreren Rollenklischees entgegentreten. Damit setzt Hilistina Banze (31) sich – wie viele andere Bewerber*innen auch – mit den Erwartungen und Rollenbildern auseinander, die insbesondere an Frauen herangetragen werden. Die Jury beeindruckte die Radikalität und die Vielschichtigkeit des Experiments und ist gespannt auf die Erfahrungen, die Hilistina Banze als Frau, als Muslima und als Feministin sammelt.
MIA HOFNER
„Ich will für zwei Wochen keine verwertbaren, personenbezogenen Daten über mich generieren.“ Das bedeutet umfangreiche Einschränkungen für die 26-jährige Konzepterin und Studentin aus Köln: Kein Smartphone nutzen, keine E-Mails abrufen, nicht online shoppen – allesamt Tätigkeiten, auf die auch viele andere Bewerber*innen verzichten möchten, weil sie zu viel Energie verbrauchen, soziale Beziehungen belasten, zum Konsum verleiten und unkontrollierbare Datenspuren von sich und anderen hinterlassen. Bemerkenswert fand die Jury Mia Hofners Klarheit, mit der sie die Folgen ihres täglichen Handelns reflektiert und sich gleichzeitig bewusst ist, dass sie dem digitalen Datentransfer nicht für immer entkommen kann.
KIMBERLEY VEHOFF
„Ich will meinen Beruf nicht ausüben“ schreibt die 22-jährige Fachkraft für Lebensmitteltechnik aus Bad Fallingbostel. Stellvertretend für sehr viele Bewerbungen bringt Kimberley Vehoff eine grundlegende Unzufriedenheit mit den ökonomischen Zwängen und dem Leistungsdruck der Gegenwarts- gesellschaft zum Ausdruck. Besonders überzeugend fand die Jury, dass die sozialen Beziehungen von Kimberley Vehoff durch wechselnde Früh-, Spät- und Nachtschichten sowie einer 6-Tage-Woche leiden, und sie das Stipendium nutzen will, diese emotionalen Bindungen wieder zu stärken.
DIE NOMINIERTEN
Nominiert waren 14 Finalist*innen, darunter neben den Gewinnerinnen u.a.:
- ein 9-jähriger Schüler, der sich aus ökologischem Verantwortungsgefühl nicht mehr von seiner Mutter zur Schule fahren lassen möchte,
- eine brasilianische Aktivistin, die in ihrem Dorf Plastikmüll sammelt,
- eine Ärztin, die keine suchtfördernden Schmerzmittel mehr verschreiben will, wenn sich die Erkrankung auch anders behandeln ließ,
- eine Fernsehreporterin, die vier Wochen lang keine negativen Nachrichten mehr verbreiten will,
- ein Mann, der zehn Tage nicht mehr sprechen, dafür aber anderen umso aufmerksamer zuhören möchte,
- eine Frau, die so bleiben will, wie sie ist, und damit auf den Selbstoptimierungszwang in der Gesellschaft (und der Ausschreibung) hinweist.
Die Jurymitglieder – MK&G-Direktorin Tulga Beyerle, der Philosoph und HFBK-Gastprofessor Armen Avanessian und die Juristin Eva-Dorothee Leinemann – entschieden sich, bei der Prämierung die inhaltlichen Bandbreite der Einreichungen abzubilden und der Subjektivität der Bewerber*innen Raum zu lassen. Das Stipendium für Nichtstun wurde finanziert durch die Leinemann Kunststiftung Nikolassee.