Künstlerisches Forschungsprojekt "Commune"
Das künstlerische Forschungsprojekt Commune von Christoph Knoth und Konrad Renner, Professoren für Digitale Grafik an der HFBK Hamburg, untersuchte im Sommersemester 2020 die gesellschaftlichen Strukturen und technischen Bedürfnisse von temporären Gemeinschaften im Digitalen. Welche Machtstrukturen existieren im Digitalen? Welche, meist unsichtbaren, technologischen als auch sozialen Normen bauen sich auf? Gemeinsam mit dem Designer und Kurator Prem Krishnamurthy haben sie unterschiedliche Expert*innen zu insgesamt vier digitalen Gesprächsrunden eingeladen. Die Studierenden der Klasse Digitale Grafik bereiten den inhaltlichen und formalen Rahmen vor. Die Gespräche fanden in einem von Benedikt Rottstegge gestalteten Video-Chat statt und konnten auf der projekteigenen Website im Livestream verfolgt werden. So trafen – unter der großartigen Moderation von Prem Krishnamurthy – sehr unterschiedliche Gesprächspartner*innen aufeinander: Während das Amsterdamer Design Studio Moniker von ihren Erfahrungen mit partizipativen Online-Film-Projekten berichtete und die Auswirkungen von Gamifizierung beschrieb, diskutierte Elvia Wilk die Kommunikationsformen in Live Action Role Playing (LARP) Gruppen. Denn diese auch im Digitalen existierenden Gruppen sind bei weitem keine geschützten Orte mit etablierten Kommunikationsregeln. Vielmehr gehe es darum, ein ethisches Interaction Design zu entwickeln und sich der bestehenden Rassismen bewusst zu werden.
Das war auch das übergreifende Thema des Vortrages von American Artist*. Sie erforscht das digitale Informationszeitalter vor dem Hintergrund von Blackness und afroamerikanischer Kultur. Eine Ihrer Thesen ist, dass die derzeitige Netzwerk-Technologie genauso auf kolonialistische Einflüsse untersucht werden muss, wie andere gesellschaftliche Bereiche auch. Artist* verwies darauf, dass es in den 1970er Jahren einen Übergang gab von den schwarzen Kommandozeilen hin zu den weißen Benutzeroberflächen, die wir heute verwenden. Denn weiße Interfaces werden als neutral wahrgenommen – z.B. auch bei der Google-Startseite. Auch wenn viele Geräte heute einen Dark Mode anbieten, geht damit kein genereller Systemwandel in der technologischen Entwicklung einher. Dafür sind die Strukturen im Silicon Valley zu wenig divers. Laura Kurgan widmete sich in ihrem Beitrag dem Stellenwert von Homophilie – also der Annahme, dass wir Menschen mögen, die uns ähnlich sind. Auf dieser Hypothese basieren nicht nur Planungen des sozialen Wohnungsbaus, sondern sie werden auch auf virtuelle Gemeinschaften angewandt. Ein gutes Beispiel dafür ist der Facebook-Algorithmus, der sich auf Erkenntnisse zur Homophilie bezieht. Aber gerade die 1964 durchgeführten Untersuchungen der Wissenschaftler Lazarsfeld und Merton, die sich mit Freundschaftsbeziehungen befassten, weisen große Mängel auf, wie Kurgan anschaulich darlegte. Was wäre also, wenn das Gegenteil zuträfe? Auch dafür zieht Kurgan eine wissenschaftliche Studie von Mark Granovetter heran. Er hat 1973 festgestellt, wie wichtig gerade die schwach ausgebildeten sozialen Beziehungen sind: Nur die weak ties seien in der Lage, Mitglieder sehr unterschiedlicher kleiner Gruppen miteinander zu verbinden. Wäre der Algorithmus anders, befänden wir uns dann also nicht in dieser Filterblase?
Beeinflusst durch seine Erfahrungen in der Occupy-Bewegung hat Richard D. Bartlett Software entwickelt, die virtuelle Entscheidungs- und Abstimmungsprozesse in nicht-hierarchisch organisierten Gruppen und Institutionen erleichtern will. Aufbauend auf seinen Erfahrungen bei The Hum, eine Art Unternehmensberatung für Organisationen ohne Management, gründete er das Forschungsnetzwerk microsolidarity.cc. Hier versammelt er Anleitungen und Hilfestellungen für kleinere Gruppen, Crews, dich sich zu bestimmten inhaltlichen Fragestellungen finden und zusammenschließen, um gemeinsam bedeutsame Arbeit zu leisten. Dabei haben die individuellen Erfahrungen in der Familie, in religiösen Gemeinschaften einen großen Einfluss auf das Verhalten und Auftreten in Gruppen. Wie können alle Interessen berücksichtigt werden, ohne in endlosen Treffen zu keinen Entscheidungen zu kommen? Wie wird Feedback gesammelt und priorisiert? Es sind also vor allem zwischenmenschliche und weniger technische Probleme, die hier im Mittelpunkt stehen. Viele Gruppen scheitern daran, dass sie immer von allen Mitgliedern bei allen Entscheidungen eine hundertprozentige Zustimmung einfordern. Viel hilfreicher wäre es stattdessen, ein Set von Minimalkompromissen zu finden, auf dem aufgebaut und weitergearbeitet werden kann.
Zum Abschluss der Gesprächsreihe trafen am 1. Juli 2020 James Andrews und Rebecca Stephany aufeinander, die sich beide auf sehr unterschiedliche Art und Weise mit Empowerment, Community Building und Diversity beschäftigen. Während Andrews, mit einem Hintergrund im Musik- und frühen Internetbusiness, venture capital mit jungen Unternehmer*innen zusammenzubringt, die außerhalb etablierter Netzwerke agieren und die soziale Interaktion in virtuelle Räume übertragen, leistet Rebecca Stephany visuelle Grundlagenarbeit: Gemeinsam mit der Gestalterin Anja Kaiser hat sie das „Glossar des Undisziplinierten Gestaltens“ entwickelt: Das mehrteilige Projekt besteht aus einer Serie von Lehrformaten und Workshops, einem Symposium und einer Publikation. Darin stellen sie unangepasste Vorreiter*innen im Grafikdesign als auch Zeitgenöss*innen vor, deren Praxen die eurozentristische und männlich-dominierte Geschichtsschreibung im Grafikdesign in Frage stellen. Die von ihr im Rahmen von Commune vorgestellten Formate reichen von künstlerischen Interventionen über Performances bis hin zu Vorträgen. Dadurch ermöglichten sie eine gleichberechtigte und inhaltliche Vielstimmigkeit, ein Ansatz, den auch Commune verfolgt und einlöst.
In der zweiten Phase des Projekts sollen in explorativen Workshops, Versuchsanordnungen und visuellen Skizzen recherchiert werden, wie unterschiedliche Meinungen und Haltungen paritätisch Gehör finden und wie Diskurse ermöglicht werden, die eigentlich aufgrund von vorhandenen Machtstrukturen nicht wahrgenommen werden. Die Ergebnisse werden über eine Online-Plattform publiziert. So entsteht eine spekulative Wissenssammlung zu alternativen Methoden der digitalen Kommunikation, zu sozialer Verantwortung in digitaler Lehre, zu transparenten Entscheidungsprozessen und der Wirkmacht des Interface.
1. Juni – 1. Juli 2020, Commune, 10. Juni 2020, Design Studio Moniker (Luna Maurer & Roel Wouters, Amsterdam) und Elvia Wilk (Kunst- und Architekturkritikerin, Autorin des Romans Oval, 2019, lebt in New York City) | 17. Juni 2020, Laura Kurgan (Architektur-Professorin am Center for Spatial Research der Columbia University) und American Artist (Künstler*in, Autor*in, Kulturproduzent*in, lebt in New York City.) | 24. Juni 2020, Richard D. Bartlett (Software-Entwickler, Aktivist, Autor) und Nora N. Khan (Kritikerin und Autorin zu Technologie, digitaler Kultur und Philosophie. Unterrichtet an der Rhode Island School of Design) | 1. Juli 2020, James Andrews (Netzwerker und Entrepreneur) und Rebecca Stephany (Designerin und Professorin für Visuelle Kommunikation an der Hochschule für Gestaltung, Karlsruhe) | Ein Projekt von Prof. Christoph Knoth und Prof. Konrad Renner mit Prem Krishnamurthy und Studierenden der Klasse Digitale Grafik der HFBK Hamburg. Gefördert von der Hamburg Open Online University
Ein Projekt von Prem Krishnamurthy mit Studierenden der Klasse Digitale Grafik der HFBK Hamburg.
In der Podcast-Folge von "Hamburg hOERt ein HOOU" spricht Konrad Renner mit Christian Friedrich über die Hintergründe des Projekts.