Die Tresen-Kolumne: Überschüsse
Überschüsse
Irgendwie hat es mich befremdet, dass der neue Hamburger Stadtkurator sein Programm unbedingt am 1. Mai, dem historischen Kampftag der Arbeiter_innen, eröffnen musste und das auch noch ausgerechnet am Ponton von Entenwerder, ganz klar ein ziemlich schöner Ort, dessen Gastronom aber besonders dadurch auffiel, dass er sich während des G20-Gipfels öffentlichkeitswirksam gegen das Protestcamp in seiner Nachbarschaft stark machte. Anscheinend gilt die Solidarität unter den Feldern der Arbeit nicht für die Kunst im öffentlichen Raum. Ich war also nicht da. Vielleicht war es ja total gut: Vielleicht wurde der Konflikt in der dort gezeigten Bienenkorbinstallation antizipiert und ich tue ihm hiermit Unrecht, keine Ahnung. Ich bin dennoch zwiegespalten. So war ich auf der traditionellen DGB-Demo, und natürlich kommt da nicht viel mehr bei rum als die üblichen Bratwurststände und kostenlose Verdi-Luftballons. Irgendwer spricht über Tarifrunden und Nachverhandlungen, Warnstreiks und andere Sachen, die alle für mich und viele andere nicht gelten. Als Antonio Negri um das Jahr 2000 im französischen Exil, schwer beeinflusst von der hier namensgebenden Rhizome-Idee Gilles Deleuzes, den Begriff der Multitude entwickelte, um die Felder der informellen und körperlosen Arbeit, also seiner eigenen intellektuellen, der kulturellen, aber auch der emotionalen Sorge-Arbeit der vielen anderen, in den revolutionären Prozess der Subjektwerdung mit einzuschreiben, klang das alles vielversprechend. In den aktuellen Betätigungsfeldern des DGB findet sich davon allerdings wenig wieder. Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass die Fabriken informeller Arbeit ebenfalls informelle Betriebe sind: Freundeskreise, Familien, Szenen, Identitäten, deren produktive Überschüsse abgeschöpft werden können. Dass das Private politisch ist, ist ein alter aber richtiger Slogan. Vielleicht verhindert die schiere Existenz eines Feldes des Privaten die Subjektwerdung als Klasse. Sich das vorzustellen ist ein ziemlich großer Klotz und in der Konsequenz auch nicht gerade ungruselig. Wenn das Private verschwinden würde, dann gäbe es auch keine Notwendigkeit mehr für die Bezeichnung einer Öffentlichkeit. Kunst im Raum würde das dann heißen. Am 1. Mai würde sie dann trotzdem nicht stattfinden, denn da wären ja alle auf der DGB-Demo im großen Block der Arbeiter_innen in und aus Freundeskreisen, Familien, Szenen und Identitäten.