Dr. phil. in art. Vera Tollmann
Sicht von oben. „Powers of Ten“ und Bildpolitiken der Vertikalität
Betreuung: Prof. Dr. Hanne Loreck, Stipendiatin des Graduiertenkollegs Ästhetiken des Virtuellen
Disputation: 15. September 2020
Mit der machtvollen Methode des Skalierens inszenieren Charles und Ray Eames in dem Kurzfilm Powers of Ten eine virtuelle Kamerafahrt, die einen vertikalen Schnitt durch die kosmologische Bilderwelt zieht. Im Unterschied zu bereits bestehenden wissenschaftlichen Analysen zum Film fokussiert diese Arbeit drei im Film auszumachende Parameter: Erstens Vertikalität der Blickregime und des Sehens, zweitens Virtualität der Bildgebung und drittens Skalierung. Bei der Analyse vertikaler Bilder steht die manipulative Arbeit zur Herstellung dieser synthetischen Sichtweise im Fokus. Virtualität bezieht sich auf solche Phänomene, die nicht als materialisierte Bilder zirkulieren, sondern durch Symbolbilder oder Datenvisualisierungen in Erscheinung treten. Skalierung wird hier zum einen als Ordnungsprinzip der Bilder und visuelle Methode der Veranschaulichung gedacht und zum anderen vom (Spieler*innen-)Körper aus, als die Bezugsgröße menschlicher Wahrnehmung berechnet, wie in Virtual Reality-Umgebungen. Am Beispiel zeitgenössischer, digitaler Weltbilder wie dem Globus Google Earth wird deutlich gemacht, inwiefern sich diese Parameter unter gegenwärtigen technologischen und infrastrukturellen Bedingungen verschoben haben. Die große Spannbreite der verwendeten wissenschaftlichen Literatur, Manuskripte und Quellen ist außerdem durch die politischen Orte – Chicago, Kalifornien, IBM, Regierungssitz in Washington, D.C. – und die Auswirkungen der geopolitischen Szenarien Space Age und Kalter Krieg begründet, die Powers of Ten prägten. In der Arbeit wird dargelegt, dass der Eames-Film sowohl eine Geschichte optischer Medien aufruft als auch einen Ausblick auf computerbasierte Visualisierungen gibt. Ein kontinuierlicher Wechsel zwischen „teleskopischem“, überblickendem Verständnis der theoretischen und politischen Bezüge, und „mikroskopischer“, detailreicher Analyse der Bild- und Datenräume ist hier hilfreich, um die Entwicklungen jener Abbildungskonventionen von Erde und Weltraum zu verstehen, seit Charles und Ray Eames ihre „Meta-Sehmaschine“ aus dem Material der Virilioschen Sehmaschinen komponierten. Ausgehend von digitalen Bildpraktiken soll Donna Haraways Kritik am „erobernden Blick von nirgendwo“ weitergedacht und ihre „Visionsmetapher“ aktualisiert werden.
Um die Diskussion an aktuelle ästhetische Diskurse anzubinden und auf die künstlerische Praxis hin zu öffnen, wird jedes Kapitel durch die Besprechung eines thematisch in Verbindung stehenden Kunstprojekts eingeleitet. Künstlerische Arbeiten sind als reflexive Instanzen im Kontext dieser Arbeit relevant, weil sie einen wesentlichen Beitrag zur Hinterfragung von Visualität leisten.