unmodern talking über den Vortrag von Bénédicte Savoy im Rahmen der Vorlesungsreihe "Humboldt, und was nun?"
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Am 8.1.2020 fand die Vorlesungsreihe „Humboldt, und was nun?“ mit einem Vortrag von Bénédicte Savoy ihren fulminanten Abschluss. Organisiert von der Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe“ widmete sich die Reihe den Debatten rund um das (scheinbar 2020 eröffnende) Humboldt-Forum und der damit ausgelösten Grundsatzdiskussion um Restitution und die Verantwortung von zeitgenössischen ethnologischen Sammlungen.
Was die Stiftung Preußischer Kulturbesitz als „Sommerlochthema 2017“ zu trivialisieren versuchte, war tatsächlich die längst überfällige und notwendige Auseinandersetzung mit dem eigenen kolonialen Erbe, die durch das Vorhaben des geplanten Humboldt-Forums (und der darin schon grundsätzlich eingeschriebenen Ignoranz) ausgelöst wurde. Während sich in Deutschland die Debatten um Restitution auf reißerische Leitartikel und hölzerne Podiumsdiskussionen beschränkte, entschied sich Emanuel Macron kurzum bei einer Pressekonferenz in Burkina Faso, die Rückgabe sämtlicher zurückgeforderter Raubkunst zu versprechen.
So weit so gut. Nur gestaltet sich besagte Rückgabe in der Praxis gar nicht so einfach. So ist beispielsweise jede Veräußerung von musealen Sammlungsbeständen nach französischem Recht illegal – die Museumssammlung ist so gesehen eine Sackgasse. Was erst einmal da gelandet ist, darf nicht mehr raus, Endstation. Genau das wird oftmals von Restitutionsgegner_innen als Argument genutzt, die erbeuteten Objekte eben nicht zurückzugeben. Selbstverständlich ist diese Argumentation nicht mehr als eine Ausrede, Gesetzte können schließlich geändert werden. Die Sinnhaftigkeit dieser konservativen Sammlungspraxis wurde ohnehin bereits vielfach in Frage gestellt, hat aber in gewisser Weise auch seine Berechtigung, schließlich ist es ja auch wichtig, kulturelles Erbe vor politischen Havarien zu schützen. Zunächst zeigt diese erste rechtliche Hürde exemplarisch, dass nichts, was Restitution betrifft, „einfach“ gemacht werden kann (was im Übrigen auch die oftmals geäußerten Bedenken, der “afrikanische Kontinent” könnte mit den geraubten Artefakten “überschwemmt” werden, obsolet macht).
Welche Objekte sollen bzw. müssen konkret restituiert werden? Wo werden Ansprüche erhoben? Welche Institutionen dürfen überhaupt Ansprüche erheben? Welche Institutionen kommen für die entstehenden Kosten auf? Wer stellt die Provenienz-Forscher_innen? Und das ist nur ein Bruchteil der Fragen, die vor der Restitution von Objekten geklärt werden müssen. An dieser Stelle sind Spezialist_innen gefragt, wobei wir wieder bei der Vortragenden, der Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy, wären: Sie wurde gemeinsam mit dem senegalesischen Ökonomen Felvine Sarr dazu beauftragt, einen Bericht bzw. Leitfaden zu erarbeiten, nach dem die praktische Umsetzung der Restitutionen möglich wird.
Dieser Bericht wurde schließlich im November 2018 veröffentlicht und nach diesem verlängerten Vorlauf kommen wir endlich zum Inhalt des Vortrages: Unter dem Titel „Ein Jahr danach“ sprach Savoy nun also im Januar 2019 darüber, was nach der anfänglichen hochgepeitschten Motivation der französischen Politik in den letzten 13 Monaten nun tatsächlich umgesetzt wurde. Die kurze Antwort: nicht viel. Die lange Antwort: Wirklich nicht viel.
Zum einen gab es wieder mal anderes zu tun. Nur einen Tag nach der Veröffentlichung des Berichts und der anschließenden Pressemitteilung von Macron und seinem (zu diesem Zeitpunkt frisch ins Amt gehobenen) Kulturminister Franck Riester, bewegte der erste Akt der Gelbwestenbewegung Frankreichs. Spätestens mit ihrem zweiten Akt am 5.12., einem Angriff auf den Arc de Triomphe de l’ Étoile, waren sie nun auch Sache des Kulturministeriums, das eine weitere Gefährdung öffentlicher Denkmäler verhindern sollte. Am 15.4. des Folgejahres brannte dann auch noch Notre Dame – eine weitere Jahrtausendherausforderung für das Ministerium und seine Ressourcen. Ziemlich viel zu tun also für Franck Riester – das mag der Grund sein, warum die eigentlich fürs Frühjahr anberaumte Konferenz zu Restitution dann erst im Juli als Brainstorming zu „Zirkulation“ stattfand. Diese begriffliche Verschiebung spricht Bände und war für Savoy und Sarr auch Anlass genug, der Konferenz fernzubleiben. Von einer grundsätzlichen Restitutionspolitik ist keine Rede mehr, freundlich klingende Begriffe wie „Zirkulation“ oder „Kooperation“ sind nichts anderes als die Verschleierung eines hastigen Zurückruderns.
Dieses Zurückrudern blieb nicht unerkannt, internationale Beobachter_innen kritisierten Frankreich für ihre leeren Versprechungen und hierzulande (ja, vor allem in Berlin) war, wenn man genau hinhörte, ein leiser Seufzer der Erleichterung zu hören: wenn die Franzosen jetzt doch nichts vorlegen, müssen wir auch nicht nachziehen, dem Gruppenzwang gerade nochmal entgangen, phew. Ähnlich kraftlos liest sich dann übrigens auch der zweite Entwurf des Leitfadens zum Umgang mit Sammlungen aus kolonialen Kontexten des Deutschen Museumsbunds. Summa summarum besagt dieser: Rückgaben sind denkbar, aber nicht oberste Priorität, alles ist übrigens sehr kompliziert.
Kurz nachdem sich die Veröffentlichung des Berichts jährte, lösten sich dann doch noch – einigermaßen überraschend ¬– Bruchteile der Versprechungen Macrons ein: so brachte im November Frankreichs Premierminister Édouard Philippe höchstpersönlich ein Schwert des politischen und religiösen Anführers al-Haj Omar Saidou Tall aus einem französischen Armeemuseum zurück ins heutige Senegal. Im Dezember dann einigte sich Frankreich und acht westafrikanische Staaten auf eine umfassende Reform der aus Kolonialzeiten stammenden Währung Franc CFA, die künftig Eco heißen soll und sich dem Zugriff Frankreichs entziehen – was auf den ersten Blick nicht direkt mit Restitution in Zusammenhang zu stehen scheint, liest Savoy doch als Zeichen eines mitunter erschlafften aber noch nicht ganz für tot erklärendes Interesse Frankreichs, sich den drängenden Aufgaben einer Entkolonialisierung zu stellen.
Interessanter noch als die Unternehmungen und Nicht-Unternehmungen Frankreichs im letzten Jahr sind aber die Ergebnisse Savoys eigener Forschung aus diesen letzten 13 Monaten, in der sie Fragen der Historizität von Restitutionsdebatten nachging. Im Laufe ihrer Recherchen in den Archiven der Museen, Sammlungen, Stiftungen und Medienhäuser hat sich nämlich herausgestellt, dass es bereits in den 1980er Jahren eine äußerst kontrovers und öffentlich geführte Debatte um Restitutionen kolonialer Raubkunst gab. Und zwar vorwiegend nicht in Frankreich, sondern in Deutschland. Die reichte von Leitartikeln in den großen Tageszeitungen (1978 berichtet beispielsweise die FAZ von einem neuen Gespenst, das in den Museen umgeht; kurz Restitution genannt), Fernsehsendungen (Savoy zeigt Auszüge aus der Talkshow 5 nach 10 aus dem Jahr 1984, in dem ein unglaubliches Panel von 14 Personen im kolonialen Setting des Überseemuseums Bremen über Restitution und postkoloniale Verantwortung diskutieren), bis hin zu politischen Bestrebungen. So gibt es seit 1981 von der UNESCO entworfene Rückgabe-Anforderungsformulare, die noch heute stapelweise (und unausgefüllt) in den Verwaltungsapparaten und Aktenschränken der Museen ruhen.
Die ganze Rede von dem neuen „Hype“ um Restitutionsfragen und dass man sich das alles erstmal in Ruhe anschauen muss, weil man so nicht damit gerechnet hat: alles Quatsch also. Neu ist daran gar nichts, rechnen konnte man sehr wohl damit und Zeit gab es nun spätestens seit den 80ern wohl genug. Das überraschte Erwachen aus dem Winterschlaf der weißen Privilegien ist übrigens auch die selbe Blauäugigkeit, mit der sich auch das Humboldt Forum zu verteidigen versuchte, bevor es dann zu seiner neuen Sprachregelung überging, in der sich das Forum als bewusster Anstoß überfälliger Debatten stilisierte.
Dass die 90er nichts als zweifelhafte Modeerscheinungen und einen Backlash in allen politischen wie gesellschaftlichen Fragen hervorbrachte ist ja nun keine große Überraschung mehr, aber wie konnte es denn wirklich zu einer derartigen Amnesie bereits diskutierter Fragen und entzündeter Öffentlichkeiten kommen? Wie konnte aus einem Talkshowthema ein Staatsgeheimnis werden, dem man sich nun erneut mit Samthandschuhen nähern muss?
Aufschluss darüber gibt ein Manifest der Deutschen UNESCO Kommission von 1978, eine Regelung zur Rückgabe von Kulturgut, in dessen Analyse Bénédicte Savoy drei wesentliche Punkte herausstellt. 1. Die Regelung sieht vor, den Begriff „Restitution“ abzuwehren, denn „sonst entsteht der Eindruck juristisch unsauberen Erwerbs.“ (Äh ja, genau, zum Beispiel, Raub, Zwang, Missbrauch). Weiter: „Der Begriff „Restitution/Rückgabe“ muß (sic!) so weit gefaßt werden, daß keine moralische Verpflichtung zu erkennen ist. (…) In die Diskussion um einen neuen Begriff wurde „Transfer“ eingebracht.“ 2. Vor Emotionalität wird gewarnt. „Trotz der für die BRD eindeutigen Rechtsituation in der Frage der „Rückführung von Kulturgütern“, ist damit zu rechnen, daß ein „öffentlicher“ bzw. „moralischer“ Druck auf unsere Museen zukommen wird. Die Länder der Dritten Welt (sic!!) sind entschlossen, ihr Kulturgut wiederzuerlangen und daheim zu präsentieren. Dies ist ein weitgehend emotionaler Vorgang, der nicht gesteuert werden kann, wobei es auch keine Rolle spielt, auf welche Weise die Objekte in die Sammlungen Europas und Nordamerikas gelangten.“ 3. Transparenz und Nachvollziehbarkeit ist eindeutig abzulehnen. Der schon damals (und bis heute unermüdlich) geäußerten Forderung, deutsche Sammlungen mögen doch bitte, so wie die meisten anderen europäischen Museen ja auch, endlich Listen ihres Sammlungsinventars – insbesondere jenes kolonialen Ursprungs – anlegen und zugänglich machen, soll explizit nicht nachgegangen werden. „Von der Erstellung solcher Listen wird sowohl von Seiten unserer Völkerkundemuseen als auch der Kulturverwaltungen gewarnt. So würden Begehrlichkeiten erst recht geweckt.“
Bei einem solchen Regelwerk ist das große Vergessen kein Wunder mehr. Nicht bloß spontane Amnesie, nein, eine strukturelle Auslöschung steckt dahinter. Nur konsequent ist demnach Savoys Plädoyer, das sich aus einer Umkehrung der genannten drei Punkte speist und besagt:
- Man muss auf den Begriff der Restitution bestehen. Blumige Alternativen wie Transfer, Zirkulation, Kooperation sind nichts als kalkulierte Ablenkungsmanöver, die einer konsequenten Rückgabepolitik entgegenlaufen.
- Eine Debatte, in der es um Raub, Identitätsverlust, Gewalt und Eigentum geht, lässt sich nicht emotionslos diskutieren. Emotionalität ist in dem weiteren Diskurs zur Restitution als Faktor anzuerkennen und zu berücksichtigen. Nicht um Moral geht es dabei, sondern um Solidarität.
- Sammlungen müssen zur Transparenz und zur öffentlich einsehbaren Aufarbeitung ihrer eigenen Geschichte und kolonialen Verwicklungen angehalten werden.
Vielleicht sind diese drei Merksätze ja auch dem Humboldt Forum eine Hilfe. Wir sind gespannt.