Le Monde Problématique: Debattenrundschau vom 17. Juni
Willkommen zu meiner Debattenrundschau vom 17.06.2019!
Von der Venedig-Biennale dürfte sich inzwischen jede/r Interessierte ein Bild gemacht haben, deren Eröffnung liegt ja nun ein paar Wochen zurück. Einen weiteren Artikel möchte ich dennoch empfehlen, und zwar Oliver Koerner von Gustorfs als „Abrechung“ apostrophierte Besprechung der Großausstellung, welche Monopol veröffentlicht hat. Tatsächlich beginnt von Gustorfs Text mit einer etwas nervigen Passage über das ach so aufgeblasene Gehabe der International Art Professionals, aber schon bald verflüchtigt sich der polemische Tonfall zugunsten einer differenzierten und interessanten Betrachtung sowohl der von Rugoff kuratierten Großausstellung „May you live in interesting times“ als auch des deutschen Pavillons und darüber hinaus des Kunstbetriebs im Allgemeinen. Hier ein Auszug: „[Rugoffs Ausstellung] vermittelt […] ziemlich konsequent eine Botschaft: ‘Es ist zu spät, der Zug ist abgefahren, wir sind machtlos politischen, technologischen, ökonomischen Systemen ausgeliefert, die sich auf unheimliche Weise verselbstständigt haben – wie auch der Kunstbetrieb.’ Viele der bedrohlichen Bilder, die hier angesichts der ‘interessanten Zeiten’ erschaffen wurden, kommen einem unheimlich vertraut vor – weil sie in der Unterhaltungsindustrie schon längst wie ein Untergangs-Mantra bedient werden. […] Die gesamte Veranstaltung vermittelte an den Eröffnungstagen das Gefühl, es gebe trotz aller Krisen und Katastrophen einfach keine Alternative zu der bestehenden Gesellschaft, nichts Neues zu denken oder zu erfinden. […]
Würde das Kunstvolk das Krisenthema und die Endzeiterzählungen dieser Biennale ernst nehmen, würden sie, anstatt vergangenen Dekadenz-Träumen nachzuhängen, versuchen, aus dieser hermetischen Kunstwelt auszubrechen, um gemeinsam mit dem Rest der Welt den Planeten zu retten. Doch das will oder kann hier keiner, obwohl sich auf der Biennale ein unglaubliches kreatives Potential und ökonomische Macht sammeln, die tatsächlich zu entscheidenden gesellschaftlichen Änderungen führen könnten.“
Dass ein Mehr an Freiheit nicht automatisch zu mehr Zufriedenheit, besseren Ergebnissen oder höherer Produktivität führen muss, dürfte den allermeisten Kreativen bzw. KünstlerInnen bestens bekannt sein. „New Work“ heißt ein Trend aus der Arbeitsorganisation bzw. der Mitarbeiterführung, welcher auf die Entfesselung der Produktivkräfte von MitarbeiterInnen durch ein hohes Maß an Entscheidungsfreiheit setzt. Lisa Duhm hat für Spiegel Online ein Interview mit der Sozialwissenschaftlerin Stephanie Porschen-Hueck über die potentiellen Schattenseiten von „New Work“ geführt. Duhm beschreibt die Ausgangslage folgendermaßen: „Hört sich erst mal so an, als wären da alle zufrieden: der Chef, für den hoch motivierte Angestellte arbeiten, und die Mitarbeiter selbst, die ihre Kreativität ausleben können.“ Eine starke Identifikation der MitarbeiterInnen könne allerdings zu Selbstausbeutung führen, so Porschen-Hueck. Noch werde „agiles Arbeiten“ positiver wahrgenommen als klassisch hierarchisch strukturiertes. Aber: „für die meisten Arbeitnehmer nimmt der Druck nicht ab. Konzepte zur agilen Arbeit sollen Mitarbeiter zwar entlasten, aber sie bergen eben auch die Gefahr der Selbstoptimierung - die Mitarbeiter nehmen den Marktdruck auf, so werden diese Ansätze letztlich zu einem neuen Instrument zur Leistungsintensivierung.“ Na, wer fühlt sich angesprochen?
In einem ausführlichen Essay für den Deutschlandfunk macht Stefan Heidenreich einen ungewöhnlichen Vorschlag: Man solle das Publikum von Kunstmuseen darüber abstimmen lassen, welche Kunst gezeigt werden solle. Heidenreichs Vorschlag ist die Folge einer ernüchternden Bestandsaufnahme des Ausstellungsbetriebs in seiner jetzigen Form: „In der Breite der Bevölkerung wirkt die Kunst unserer Zeit wie ein abgehobener Kult, den sich Experten und Eingeweihte für einige wenige reiche Sammler ausdenken. Dass ein Teil der teuer gehandelten Kunst dann dem gemeinen Volk zugänglich gemacht wird, kommt wie ein Gnadenakt aus feudalen Zeiten daher.“ Niemand interessiere sich für die Meinung der BetrachterInnen bzw. für deren Vorlieben. Heidenreich schlägt vor, den Begriff des Schönen wieder positiv aufzuladen und der Kunst durch ihre Demokratisierung wieder eine größere gesellschaftliche Bedeutung zu geben. Folgender exemplarische Ausschnitt zur künstlerischen Autonomie gibt die Haltung des Autor ziemlich passend wieder: „Eine große Sorge der Künstler gilt ihrer ‘Autonomie’, also der Vorstellung, dass sie in ihrer Arbeit vollkommen frei sein müssten. Schauen wir uns aber an, was diese Autonomie tatsächlich bedeutet. Künstler wissen recht genau, was bei Sammlern und Kuratoren ankommt, und das liefern sie in der Regel auch, nicht selten unter sanftem Druck ihrer Galeristen. Wirklich autonom können sie sich nur den Betrachtern gegenüber verhalten. So wird Autonomie letztlich zur intellektuellen Ausrede, um auf das Publikum keinerlei Rücksicht nehmen zu müssen. Nötig wäre genau das Gegenteil: Anstatt die Betrachter zu ignorieren und nach Belieben vor den Kopf zu stoßen, sollten Künstler sich auf die Haltung der Romantik besinnen. Das hieße: auf die Betrachter zugehen und sie als Verbündete bei der Wirkung ihrer Werke begreifen.“
Der Text kommt als Plädoyer daher und so ist es nicht verwunderlich, dass viele Komplexitäten und Widersprüche der Kunst und des Kunstbetriebs unter den Tisch fallen, um die Argumentation stichhaltiger wirken zu lassen. Allerdings drängt sich über die gesamte Länge des Textes der Eindruck einer gewissen Oberflächlichkeit auf – viele Betrachtungen scheinen nicht absichtlich zugespitzt, sondern schlicht und einfach unterkomplex.
Die diesjährige Kunstmesse Art Basel ist gerade zu Ende gegangen. Kunst im Wert von etwa 4 Milliarden Dollar stand zum Verkauf, so die Schätzung der AXA Versicherung. Berichtenswertes hat Stefan Kobel in seiner Presseschau zusammengetragen.
Andrej Klahn nimmt die Messe als Anlass, um in seinem Radiobeitrag für den WDR nach dem Zusammenhang von künstlerischer Qualität und dem Preis eines Kunstwerks zu fragen. Dazu hat er mit unterschiedlichen Akteuren gesprochen, welche ein sehr widersprüchliches Bild der Lage zeichnen. Für einen zehnminütigen Beitrag zum Thema ist das alles recht aufschlussreich. Ein bisschen schlimm ist der vorgebliche Realismus, mit dem Kunstmarktexperte Magnus Resch zu Protokoll gibt: „Gute oder schlechte Kunst gibt es nicht. Das einzige,was Kunst gut oder schlecht macht, ist das Netzwerk.“ Letztlich entscheide einfach ein Power-Klüngelverein über die Qualität von Kunst. Kultureller Wert kommt in Reschs Kunstverständnis überhaupt nicht vor; die Stumpfheit, mit der hier die vorhandene Machtordnung quasi naturalisiert wird, macht einen schon ein bisschen betroffen.
Die potentiellen Probleme des globalen Klimawandels rücken auf den politischen Tagesordnungen immer weiter nach oben und auch im Kunstbereich ist das Thema auf dem Vormarsch. Geht es allerdings um konkrete Maßnahmen zur Reduzierung des eigenen ökologischen Fußabdrucks, dann hört der Spaß auf – Sparsamkeit und Vernunft stehen den Grundwerten des Systems diametral entgegen; ein System, in dem die Überschreitung, die Verschwendung und der Luxus fundamentale Bedeutung haben und dessen Produkte per Definition „nutzlos“ sind. Kate Brown hat genau darüber einen äußerst lesenswerten Artikel geschrieben, welcher auf news.artnet.com veröffentlicht wurde. Sie hat sich auf der Art Basel mit Galeristen und Sammlern zum Thema unterhalten und stellt fest:
„The questions around the art-world’s carbon footprint are deeply uncomfortable for everyone, this writer included. It brings up questions of our very existence as an industry. Professionals of all stripes travel around the world multiple times per year for trips lasting under a week, and the whole supply-and-demand chain, as it currently stands, calls for art to be regularly shipped from A to B, usually as quickly as possible. (‘You know the art world way—I am on a plane every two weeks,’ I overheard one fairgoer explain.)“ Auch kommerziell scheint das Thema Klimawandel ein echter Lustkiller zu sein. Brown schreibt: „Nearly every gallerist I spoke to said that collectors are just not that interested in climate change as a topic.
The subject is different, in this way, from other hot-button issues that are raging in and beyond the art world, like representation, race, and gender politics. Those seem to have informed the kind of art on view—and translated into sales.“
Kolja Reichert versucht sich in seinem großartig geschriebenen Beitrag für F.A.Q. – Frankfurter Allgemeine Quarterly an einer Bestandsaufnahme der ökonomischen Machtkonzentrationen und Wertschöpfungsstrategien innerhalb des Kunstbetriebs. „Der Kunstmarkt ist das Nervensystem der Weltwirtschaft. Er ist das realistischste Bild, das die Kunst je geschaffen hat“, so Reichert. Dieser Spitzen-Vergleich muss als Teaser reichen :D
Die Plattform PRÄ|POSITION hat ein sehr langes und sehr interessantes Interview mit der Theoretikerin Juliane Rebentisch veröffentlicht, welche an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach als Professorin für Philosophie und Ästhetik arbeitet. Das Gespräch dreht sich um den „Zustand der Gegenwart, das Verhältnis von Kunst und Theorie und die Richtung ihre Werks“, wie es so schön auf der Website heißt. Außerdem: der Umgang mit StudentInnen, Geschlechtergerechtigkeit, die Wichtigkeit bzw. Unwichtigkeit der eigenen Erfahrungen für das Verständnis von Welt, wie Rebentisch Texte über Kunst schreibt, und vieles mehr. Einfach lesen – es lohnt sich. Auch wirklich sehr gut: ihr Buch „Theorien der Gegenwartskunst zur Einführung“, 2013 im Junius Verlag erschienen.
Nach der Nolde-Ausstellung im Hamburger Bahnhof wird sich Angela Merkel neue Kunstwerke ins Büro hängen – selbst Malereien von Wellen oder Sonnenblumen erscheinen problematisch, wenn sie von einem Antisemiten und Nazi gemalt wurden. Im Deutschlandfunk plädiert Ulrike Groos, Direktorin des Kunstmuseums Stuttgart, für Werke weiblicher Künstler, welche sich in ihrer Arbeit explizit mit Deutschland auseinandersetzen. Eigentlich ein toller und erstaunlich naheliegender Vorschlag; tatsächlich wird wohl etwas ähnlich unverfängliches wie die Nolde-Welle Einzug halten, nur eben von jemandem mit unproblematischen politischen Ansichten.
Das Feuilleton der Neuen Züricher Zeitung steht fest an der Seite der Kunstfreiheit, wie wieder einmal zwei Beispiele aus den letzten Tagen zeigen.
New York - Korrespondentin Sarah Pines schreibt in ihrem Artikel über die fast durchweg schlechte Presse, welche die Ausstellung „Epic Abstraction: Pollock to Herrera“ im Metropolitan Museum bekommen habe – eine Überblicksausstellung zum Abstrakten Expressionismus. Folgende Punkten würde vor allem in der Kritik stehen, so Pines: „Sie beklagen die fehlende Sensibilität gegenüber Randfiguren des abstrakten Expressionismus wie Frauen oder sozial schwachen Malern.“ Und weiter: „Maler des abstrakten Expressionismus, die eher Minderheiten und Randfiguren verkörperten und nicht der Gruppe der Superstars der New Yorker Malerbohème zuzuordnen sind, würden hier spärlich verteilt und eingezwängt neben Meister gehängt, nicht etwa, um sie erstmalig zu kanonisieren, sondern vielmehr, um sie als technisch mangelhaft zu verlachen, als unterlegen blosszustellen.“ Die Autorin kritisiert wiederum die Kritiker der Ausstellung – der Kunst eigentlich äußerliche Fragen würden immer häufiger in den Vordergrund gerückt: „Die Kritik ist von der #MeToo-Ideologie durchtränkt und zeigt, wie diese uns langsam in Fleisch und Blut übergeht und den bisher von Form und Ästhetik motivierten Blick auf die Kunst mit politischem Ideologiegehabe verstellt.“
Verbal deutlich schärfere Geschütze fährt Klaus-Rüdiger Mai in seinem Essay zur Lage der deutschen Hochschul- und Kulturlandschaft auf. Die Überschrift - „Die Unfähigkeit zur Freiheit: In Deutschland herrscht ein zunehmend repressives Klima“ - gibt die Marschrichtung vor, wobei der ihr folgende Text sogar noch deutlich schärfer ausfällt. Freiheitliches Denken werde im Dienste der scheinbar guten Sache immer weiter eingeschränkt, so die These des Autors: „Begriffe wie ‘Aktivist’ oder ‘Intervention’ lassen durchaus frösteln. Interventionen haben die deutschen Universitäten mehr als genug erlebt. Gerade in den letzten Jahren wurden in Deutschland Professoren von Studenten gemobbt und bedroht, weil sie in den Augen derer, die doch erst einmal lernen und sich die Urteilsfähigkeit erwerben sollten, angeblich rassistische, militaristische, menschenfeindliche, frauenfeindliche, heterodominante, homophobe, islamophobe, antifeministische Positionen vertreten.“ Als Beispiel dient ihm unter anderem die Besetzung der Bibliothek der Kunsthochschule in Dresden durch Studierende, welche damit gegen die Leiterin der Einrichtung wegen deren politischen Engagements für die AfD protestierten. Mai spricht hier von „politischer Hetzjagt“ und fragt: „Wie wollen diese Studenten, die unfähig zur demokratischen Auseinandersetzung sind, sonst würden sie nicht administrative Massnahmen fordern, künstlerisch tätig sein, wo doch die Grundlage der Kunst die Freiheit ist? Der Akt der Bibliotheksbesetzung ist weder demokratisch noch im Sinne der bürgerlichen Freiheit, sondern schlicht und ergreifend: Gesinnungsterror.“
Angelika Schoder von musermeku.org hat sich die Mühe gemacht, eine Liste mit den aus ihrer Sicht „besten Kunstblogs, Museumsblogs, Kulturblogs und Kultur-Podcasts“ aus dem deutschsprachigen Raum zusammenzustellen. Wohl bekomms.
Johannes Bendzulla