Le Monde Problématique: Debattenrundschau vom 11. November
Willkommen zu meiner Debattenrundschau vom 11.11.2019!
In ihrer Kolumne für Dazed Digital erläutern Zarina Muhammad und Gabrielle de la Puente aka The White Pube die Frage einer anonymen Künstlerin, wie sie als Schwarze Frau mit Fluchthintergrund mit beruflichen Möglichkeiten umgehen solle, welche ihr offensichtlich nur aus Tokenismus- oder Quoten-Gründen zuteil werden würden. Die Antwort der beiden: Quotenregelungen seien prinzipiell seine gute Sache, würden sie doch konkrete Maßstäbe bilden, an denen sich Institutionen messen lassen müssten. Dies sei besser als die üblichen symbolischen Gesten. Tatsächlich macht es wenig Sinn einfach die Einschätzungen der beiden wiederzugeben, dafür ist ihr Schreibstil viel zu prägnant und witzig. Deshalb: bitte selbst lesen, es lohnt sich sehr.
Ich bin erst vor kurzem darüber gestolpert, dabei scheint er im Bereich der Filmkritik schon seit einigen Jahren populär zu sein - es geht um den Bechdel-Test, benannt nach der US-amerikanischen Autorin Alison Bechdel. Laut Wikipedia wird er verwendet, „um Stereotypisierungen weiblicher Figuren in Spielfilmen wahrzunehmen und zu beurteilen.“ Er bestehe aus drei einfachen Fragen. Würden sie positiv beantwortet, habe der Film den Test bestanden: „Gibt es mindestens zwei Frauenrollen? Sprechen sie miteinander? Unterhalten sie sich über etwas anderes als einen Mann?“
Ökonom und Unternehmer Magnus Resch und Stefan Heidenreich, Autor und Professor für Medientheorie, sind vor wenigen Tagen mit einer Streitschrift in die Öffentlichkeit getreten,welche auf Zeit Online veröffentlicht wurde (Eine englische Version erschien parallel auf Artsy ). Die Kernthese der beiden: Der Kunstbetrieb sei völlig dem Dogma der Exklusivität verpflichtet, welches völlig unzeitgemäß und damit dringend zu überwinden sei. Eine kleine Zahl an vermögenden Individuen dominiere mit ihrem Geschmack und Geld, was in Museen, Galerien und Ausstellungshäusern gezeigt werde. BetrachterInnen seien es heutzutage gewohnt selbst zu entschieden was sie sehen wollten, also solle man sie verstärkt einbinden und so die Kunst demokratisieren. Die schöne neue Kunstwelt malen sich die beiden folgendermaßen aus: „Sollte es gelingen, die Kunst demokratisch neu zu beleben, werden am Ende alle etwas davon haben. Die Betrachter, die mit den Werken wieder etwas anfangen können. Die Künstler, die wieder Anerkennung finden, auch außerhalb der kleinen Szene, auf die sie jetzt zurückgeworfen sind. Die Sammler, die wieder Dinge von Bedeutung erwerben können. Wir glauben an die Kraft der Kunst. Befreien wir sie vom Kult des Exklusiven und öffnen sie den vielen, die Kunst lieben.“ Der sehr kurze Text ist nicht besonders erhellend, da er seine Themen nur sehr oberflächlich anreist. Dennoch erzeugt er gewisse Aufmerksamkeit, was bei so viel fundamentaler Kritik an den Grundstrukturen des Betriebs kaum überrascht.
Silke Hohmann hat die beiden Autoren für Monopol zum Interview getroffen, um mit Ihnen über ihre Thesen zur Demokratisierung der Kunst zu sprechen. Magnus Resch präzisiert darin: „‘Gute Kunst‘ existiert nicht. Der Begriff ‚Gute Kunst‘ ist eine Marketingphrase. Die Bewertung von Kunst ist ausschließlich subjektiv. Wenn wir also mehr Stimmrecht für Betrachter fordern, dann geht es darum die Leute zu fragen, ob sie damit etwas anfangen können.“ Interessant ist schon, wie sehr der Text und auch die Interview-Antworten der beiden Autoren von Wirtschaftsvokabular geprägt sind. Das kommentiert auch Silke Hohmann mit folgender Frage: „Herr Resch, wollen Sie als Ökonom nicht einfach Kunst auf die platte Zufriedenheits- und Bewertungslogik von Marktplattformen runterbrechen?“ Reschs Antwort: „Was ist falsch dran, auf den Besucher zu hören? Eine Ausstellung, die keiner besucht, aber Steuergeld verschwendet, ist für mich eine schlechte Ausstellung. Eine Ausstellung, die auf Instagram gefeiert wird, dadurch neue Leute ins Museum spült, für hohe Ticketverkäufe sorgt und durch Sponsorengelder die Kasse vollmacht - das ist eine gute Ausstellung. In der Kunstwelt denkt man jedoch genau andersherum. Was Instagram feiert, gilt für die Kunstelite als schlichtweg stumpf. Diese Arroganz ist unangebracht.“
Eine gute Antwort auf die Thesen von Heidenreich / Resch liefert Unternehmer Christian Kaspar Schwarm, ebenfalls in der Zeit. Einige der Kritikpunkte, welche Hohmann in ihrem Interview angesprochen hat, werden von Schwarm ebenfalls aufgegriffen und um zusätzliche ergänzt. Die meisten der Thesen des Duos hält Schwarm für überholt; manche seien sogar schädlich für die Kunst und führten zu ihrer Verflachung. Die Forderung nach Mitbestimmung des Publikums sei quasi schon Realität, so der Autor: „Kaum ein Museum erlaubt sich heute noch, Ausstellungen zu konzipieren, ohne auf die erwarteten und tatsächlich erzielten Besucherzahlen zu schielen. Im Fernsehen nennt man das ‚die Quote‘, und die allgemeine Quotenhörigkeit hat keineswegs dazu geführt, dass das TV-Programm in den letzten Jahrzehnten besser wurde.“ Ein großes Potential der Kunst sei es, neues entdecken zu können: „Aktive, persönliche Beschäftigung mit Kunst darf dabei nicht – wie von Resch und Heidenreich getan – auf reines Konsumverhalten heruntergebrochen werden. Sie gleicht vielmehr dem Erlernen eines Instruments: Die Freude entsteht beim Spielen. Und es ist doch das Neue, das Unbekannte, das noch Ungelernte, das uns Menschen wachsen lässt. Das ist es, was wir all jenen erzählen müssen, die noch gar nicht ahnen, was gute Kunst mit ihrem Seelenleben anstellen kann. Ich fürchte, Stefan Heidenreich und Magnus Resch zählen dazu.“
Passend zum nahenden dreißigsten Jahrestag der Deutschen Einheit und den zahlreichen Diskussionen, die ihn begleiten, wurde nun bekannt, dass die sogenannte „Einheitswippe“ nicht wie geplant noch im laufenden Jahr in die Realisierung gehen kann. Das quasi bundesdeutsche Denkmal für die Deutsche Wiedervereinigung soll aus einer riesigen, begehbaren Wippe bestehen und vor dem rekonstruierten Stadtschloss gebaut werden. Daraus wird erst einmal nichts, wie unter anderem Spiegel Online berichtet. Am Bauplatz würden bedrohte Fledermausarten ihren Winterschlaf halten, weshalb der Nabu gegen den Baubeginn erfolgreich geklagt habe. Der Wettbewerb zum Denkmal fand bereits 2009 statt, 2013 war der ursprünglich geplante Baubeginn. Über wie wechselhafte Geschichte dieses grotesken Entwurfs kann man sich hier auf Wikipedia infomieren.
Adam Soboczynski und Tobias Timm haben für die Zeit mit dem Maler Norbert Bisky und seinem Bruder, dem Autor Jens Bisky, über ihr Leben in der späten DDR gesprochen. Beide sind Söhne des Linken-Politikers Lothar Bisky, welcher zu DDR-Zeiten ein hoher Kulturfunktionär war. Norbert Bisky drückt das damalige Selbstverständnis der Familie folgendermaßen aus: „Wir leben auf der besseren Seite der Menschheit.“ Das lesenswerte Interview dreht sich vor allem um die Vor- und Nachwendeerfahrungen der beiden. Auf die Figurenkonstellationen in seinen Bildern angesprochen, antwortet Norbert Bisky: „Das ist die Erfahrung, die im Osten alle teilen: dass jeden Moment alles zusammenbrechen kann. Deshalb gibt es in meinen Bildern keinen festen Boden, keine rechten Winkel, vieles ist in Bewegung, rutscht ab.“ Und über seine Anfangszeit als Künstler bemerkt er: „Anfangs wäre ich gern ein kalifornischer Maler geworden. Da sagte Baselitz: Nein, du musst etwas mit deiner Biografie machen. Dann habe ich tatsächlich begonnen, die Bilder meiner Kindheit abzurufen. Inzwischen ist mir klar, dass nicht nur Ostdeutsche, sondern viele Millionen Menschen auf der Welt mit dieser Formensprache vertraut sind.“
Der in Berlin lebende Maler Martin Eder wird von einem britischen Künstler verklagt, welcher Eder vorwirft, eines seiner auf Instagram geposteten Bilder nahezu identisch in eine seiner Malereien integriert zu haben. In einem Artikel für den Berliner Tagesspiegel erläutert Frédéric Döhl die grundsätzliche Dimension des Rechtsstreits, welcher am vorvergangenen Mittwoch vor dem Berlin Kammergericht verhandelt wurde: „[Er hat Bedeutung] [f]ür jede Formen von Kunst, die zitiert und aneignet. Vom Hip-Hop über die Fan-Fiction bis eben zur Appropriation Art. Und der Fall hat das Zeug, dabei zu helfen, dem neuen Urheber- und Leistungsschutzrecht Kontur zu geben. Darauf wies das Kammergericht in seiner Eingangsstellungnahme ausdrücklich hin.“ Tatsächlich sah es das Gericht als erwiesen an, dass Eder das Urheberrecht des Klägers verletzt habe und entschied somit zu Gunsten des klagenden Künstlers Daniel Conway, wie aus einer Mitteilung der ihn vertretenden Kanzlei zu erfahren ist: „[…] Insbesondere werde das Urheberrecht Conways durch die Übernahme weiter Teile des Werkes ‚Scorched Earth‘ verletzt. Martin Eder könne sich nicht durchschlagend auf die Kunstfreiheit sowie auf das Zitatrecht berufen. Ein Zitat im urheberrechtlichen Sinn liege nicht vor.“
Zum Schluss ein Hinweis für verzweifelte MalerInnen: Wer sich regelmäßig mit dem Fertigstellen der eignen Bilder quält, dem helfen vielleicht jene vier Tipps weiter, welche Ingrid Christensen für Artsy zusammengetragen hat.
Johannes Bendzulla