Die Tresen-Kolumne: Katzenfutter und Feierabend
Katzenfutter und Feierabend
Neulich zum ersten Mal in Langenhorn gewesen. Ich bin nach Fuhlsbüttel gelaufen, um mir die gewerbliche Struktur rund um den Flughafen anzuschauen und dann einfach weiter nach schräg oben: Gewerbegebiet Oehlleckerring in Langenhorn. Solche Ringstraßen der Arbeit gibt es viele in Hamburg und sie interessieren mich genau deshalb, denn sie sind seit den Sechzigerjahren zu einer der prägenden architektonischen und städtebaulichen Figur in den Randgebieten deutscher Produktionszentren geworden. Hier stehen nicht die großen Fabriken, sondern Zulieferbetriebe und Verwaltungsstrukturen. Lagerhallen stehen dort, gebaut wie Carports, wie Kuhställe, wie Lidl-Filialen, deutsche Universalarchitektur: Vier Säulen und ein Dach aus Wellblechplatten, die Stück für Stück die alten Eternitbestände aus Asbest ablösen. Davor und daneben stehen die Bürocontainer, modular über- und nebeneinander, vom Kran dort abgeworfen. In den Neunzigerjahren wurden diese Container oft durch einen postmodernen Eingangsbereich und Windfang erweitert, der oft ideenökonomisch auf eine gebaute Dualität von Kreis und Dreieck setzt, entweder in den Farbe Rot oder Blau. Heute besuche ich diese Orte als Spaziergänger oder als Fotograf, früher war ich dort als selbstständiger Subunternehmer von irgendwelchen Bauvorhaben um Türbeschläge, Eckprofile, Brandschutzmittel, Vierkantrohre oder Gewindeschneider aus Katalogen auszusuchen. Dazu passiert man den postmodernen Eingangsbereich und geht in den Raum der oft mit „Expedition“ ausgeschildert ist. Ein kleines Büro mit ein bis acht Schreibtischen und Menschen mit Headsettelefonen. Man sagt was man braucht, die Person auf der anderen Seite des Tisches schreibt alles auf, tippt in den Taschenrechner, schreibt die Kommissionsnummern auf. Um die Wartezeit zu verkürzen, bekommt man einen Kaffee oder fischt sich ein Bonbon aus dem Glas neben dem Computer, bekommt einen Kugelschreiber geschenkt oder einen Flaschenöffner auf dem der Firmenname und das Wort „Feierabend“ eingraviert ist. Man bekommt einen Abholschein und fährt damit ins Lager, gibt ihn der Person an der Schranke, die steigt in den Gabelstapler und zehn Minuten später kommt alles was man braucht auf einer Palette angefahren. Oft haben wir uns damals die Expedition geschenkt. Dann fährt man direkt ins Lager und handelt mit den Arbeiter_innen dort den Preis aus. Stahlrohre gegen Katzenfutter, Zigarettenstangen gegen Gipsplatten, Bohrmaschinen gegen Fußballtickets. Ganze Bauprojekte wurden so zusammengetauscht. In vielen Lagerhallen deutscher Zulieferbetriebe gibt es im Kleinen eine Art autonomer Tauschwirtschaft. Es ist eine Art Mikrosabotage, eine klassenpolitische Handlung der Lagerarbeiter_innen gegen die Verwaltung. Deshalb muss ich jedesmal ein bisschen lächeln, wenn ich durch diese Straßen laufe: Ich weiß, dass selbst diese Architektur, in der Menschen und Leitzordner gleichermaßen in Volumenmeter angegeben werden, es nicht schafft, ausserplanmäßige Handlungen gänzlich einzuhegen.