HUMOR NACH #MEETOO
In der Ausstellung HUMOR NACH #METOO des Hamburger Kunstvereins treffe ich zuallererst auf eine alte Bekannte: Isabella Rossellinis und Josy Shapiros Green Porno. Ein Aufklärungsvideo über Insektensex, dargestellt von Rossellini höchstpersönlich. Mit den besten Erwartungen und einem gelockerten Zwerchfell gehe ich weiter. Mir fällt Bergson (1) ein, der schrieb, dass das Tragische bei genauerer Betrachtung komisch wird und ich denke an meine Freundin Greta, die gerade an ihrem ersten Stück über Sexismus arbeitet und mir einmal gestand, dass sie das Schreiben nicht selten bis an die Tränen aufwühle. Woraufhin ich laut lachen musste. Aber nicht, weil ich es lustig fand. Ich kenne diesen Zustand, oder besser gesagt diese Kraft des Bezeichnens, des Schreibens und löse den Schock über das Bezeichnete oft mit einem Lachen.
„a word after a word after a word is power” steht in Harry Potter-Typografie auf einer klein geratenen Sportmatte (sie erinnert mich an die Bettdecke, die immer zu kurz ist. Zieht man dran, wird den Füßen kalt, sind die Füße bedeckt, liegt der Oberkörper frei. Immer friert man, ein Alptraum) vor einer halbtransparenten Stellwand. Auf der Stellwand sind geprintete Farbkleckse und found footage Bilder collagiert: Eine winkende, nackte Sirene auf einer Meeresklippe. Eine wasserstoffblonde Menschenmähne, eine Perücke, ein Skalp. Maskerade und/oder Trophäe?
Unter der Sirene ist ein auf die blonde Mähne deutender Zeigefinger, der Nagel rosa lackiert und mit „Shhh…“ Tattoo. Und ein blauer Morphofalter, auch Himmelsfalter genannt. Das interessante an dem Schmetterling ist, dass sein Blau durch die Interferenz des Lichts auf seinen Schuppen entsteht und nicht durch Pigmente! Was für eine fabelhafte Exitgeschichte aus einer ontologischen Krise! Die Farbkleckse kommen mir hier vor wie eine Reliquie aus der prähistorischen Zeit der Malerei und ihrer Musen. Die Muse war in der Regel eine nackte Frau. Vom Maler auf sie projiziert: die Verführerin oder Sirene; und still sollte sie sein, wie ihre Körperbewegungen. Stille kommt etymologisch vom Verb stillen; das Kind ist ruhig, wenn es gestillt wird. „a word after a word after a word is power”. Wörter sind Zaubersprüche, sie fixieren die Wirklichkeit und bestimmen, was wir als unsere Geschichte anerkennen. Wer zuletzt spricht, hat recht. Die Sirene ist allerdings auch über den Sehsinn erhaben, sie stillt den Mann mit ihrem Gesang und verzieht sich so aus der weiblichen Ohnmacht.
Diese Installation von Cordula Ditz trägt den Namen YOUR SILENCE IS VERY DISTURBING und besteht aus zahlreichen, mit Pinselstrichen und found footage Bildern bedruckten Stellwänden, sowie davor liegenden Body Workout Matten mit mahnenden Slogans. Auf den Stellwänden verbinden sich die Themen Tortur, Schönheit, Marter, Kunst, Künstlichkeit, Schweigen, Mode, Fetisch, Ermächtigung, Unterdrückung, männliche Power-Psychologie, heteronormierte Soziologie und Hexerei zu einem surrealen Trip durch die letzten Jahrzehnte westlichen (Klein)bürgertums. Dass der Hintergrund halbtransparent ist, leuchtet ein. Der blinde Fleck ist eben nicht nur der Punkt in unserem Gesichtsfeld, an dem wir nicht sehen, dass wir nicht sehen, sondern auch jene Dinge sind ein blinder Fleck, die so allgegenwärtig sind, dass wir sie nicht mehr wahrnehmen. Vorbei an dem Film White Trash Girl: Law of Desire #3 von Jennifer Reeder, in dem ein durch Vergewaltigung gezeugtes Mädchen zur Superheldin ihres eigenen Überlebens mutiert, komme ich zur interaktiven Installation von Helene Kummer und Fabian Hesse mit dem Titel EXTENDED PUPPY POSE.
Ich hocke im Greenscreen auf einer grünen Getränkekiste und betrachte mich selbst auf der gegenüberliegenden Leinwand, eingeschüchtert eine Position suchend, in der ich mir halbwegs gefalle. Auf der Leinwand poppen standardisierte 3D Figuren auf, Avatare, die mir und queeren, tanzenden Menschen gegenüberstehen. Zum Beispiel schwebt ein Wikinger durchs Bild. Etwas an ihm ist merkwürdig. Sein Gestenrepertoire entspricht dem eines schematisierten Säuglings und meine Perspektive auf dieses Flugobjekt verursacht solcherlei Kopfschmerzen, die ich im Angesicht für mich unlösbarer Mathematikaufgaben bekomme. Ich hample weiter herum und finde mich auf einem Haufen ausgebrannter Polizeiautos wieder, in einem Wohnzimmer, auf einer Wiese, alles glatt gebügelte, standardisierte Welten und eine Immersion, in der ich immer wieder daran scheitere, die Spielregeln zu verstehen. Vielleicht werden damit Verhaltensnormen hinterfragt, denke ich, genauso wie meine Privilegienperformance und Genderperformance in diesen collagierten, digitalen Nicht-Orten als domestizierte Haltungen auffällig werden. So oszilliert der Raum zwischen Utopie und Pädagogik, zwischen immersiver Gaming Welt und Real-Welt Abbildungen, die sich – einander befremdlich bleibend – ineinander und übereinander schieben. Dabei nimmt der Greenscreen meinem Körper sein Verhältnis, ich übe eine Art Trockenschwimmen, ohne Anhaltspunkte für die „richtige“ Bewegung, die mich in das nächste Level kickt.
Aber EXTENDED PUPPY POSE lässt mich auch Teil von Narrativen sein, wie zum Beispiel jenem der Frauen mit ihren opulenten Hüten, die es verhindern, dass die Männer ihnen näherkommen. Eine Frau geht die Straße entlang und sticht Passanten mit ihrem spitzen Hut ins Aug. Eine Fabel, dessen Stimmung mich an das Gedicht Weltende von Jakob van Hoddis erinnert, welches die expressionistische Lyrik einläutet, oder vielmehr einlärmt. Oder die Sequenzen, die Aufnahmen von Menschen zeigen, die Produkte über ihre Computerkamera präsentieren. Unter anderem einen Joystick, der auch ohne seine phallische Form zum Fetisch aufgeladen würde, durch den Vorgang der Produktpräsentation allein.
HUMOR NACH #METOO ist eine ernste Ausstellung. Sie zeigt Unterdrückungsszenarien, Qual und Rachefeldzüge. Oder spiegelt uns wie verloren wir in einer kapitalistisch-fetischisierten Warenwelt sind, durch deren Glätte wir ins Schleudern geraten und die uns dabei keck suggeriert alles sein zu können, aber in der wir doch nichts zu fassen bekommen.
Text: Julia Jost
1: Henri Bergson: Das Lachen; Felix Meiner Verlag; Hamburg 2011; erstes Kapitel Seite 11-51.