Die neue Tresen-Kolumne auf rhizome.hfbk.net
Das Weekend, die Straße und Gott
Die Absolvent*innenausstellung ist vorbei und parallel zum verkaterten Freitag an der HfbK, fand in Hamburg zum ersten Mal eine große Demonstration des neuen bundesweiten Bündnisses „Seebrücke“ statt. Es war toll zu sehen, wie in ganz Deutschland, gleichzeitig zu den letzten Spielen der Fußball-Weltmeisterschaft der Herren*, sich Menschen auf die Straße stellten, um gegen die Kriminalisierung von Seenotrettung zu demonstrieren. Die Veranstaltungen waren auch deshalb so gut besucht, da es sich bei der „Seebrücke“ nicht um ein spezifisch linkes, sondern um ein zivilgesellschaftliches Projekt handelt. Scheinbar konnte die menschenfeindliche Häme von Bundesinnenminister Horst Seehofer bei vielen Menschen aus den gemäßigt liberalen Milieus eine Grenze triggern. Ich freue mich sehr über die laute Verstärkung auf der Straße und in den Kämpfen, die nun schon lange gekämpft werden. Was mir allerdings trotzdem Kopfzerbrechen bereitet, ist die Tatsache, dass durch die Verbreiterung der Akteur*innen in die Zivilgesellschaft (Kirchen, Amnesty, etc.), die Sprache einen moralischen Turn gemacht hat. Da wird von Menschlichkeit gesprochen, für die man eintrete, da wird von Frauen und Kindern gesprochen, die sowohl unschuldig als auch hilflos sind, kurz, da werden Menschen von Dritten als Opfer markiert. Klar, es ist auch nicht ganz falsch, aber: es ist auch nicht ganz richtig. Die möglichen Auswirkungen einer solchen Sprache machen mir Angst. Was ist eigentlich Menschlichkeit, und vor allem: wenn „wir“ diese besitzen, wer besitzt sie dann nicht? Und vor allem: wer entscheidet darüber? Und warum sind Kinder unschuldig und erwachsene Personen nicht? Und was ist überhaupt Unschuld, wenn man sich nicht den Begriff Sünde direkt mit in den Korb legt? Es ist besser, wenn Menschen nicht im Mittelmeer ertrinken als wenn Menschen im Mittelmeer ertrinken. Und es ist besser, wenn Menschen deshalb, auch aus moralischen Beweggründen auf die Straße gehen, als wenn sie es nicht tun. Für eine solidarische Zukunft in einer Gesellschaft, die sich auch unabsichtlich auf christliche, bzw. religiöse Moralkonzepte stützt und in der Lage ist, aus diesen Konzepten sinnvolle Sätze zu bilden, die Menschen und ihr Handeln zwischen gut und schlecht unterscheidet, habe ich keine Hoffnung. Die Flanke, Menschen ihr Menschsein abzusprechen, bleibt damit offen. Es gibt keine guten Moralkonzepte. Sie unterscheiden sich nur jeweils dadurch, wer zu den privilegierten und wer zu den marginalisierten patriarchalen Strukturen zählt. Eine Bewegung, die echte Gleichberechtigung und Solidarität erstreiten will, muss wahrscheinlich aufhören, zu „den Guten“ gehören zu wollen.