Die string figures-Kolumne
String Figures sind Figuren, die durch Fadenspiele entstehen. Sie werden auch Hexenspiele genannt. Bei den Chugach-Eskimos, so Wikipedia, werden Fadenspiele traditionell im Herbst gespielt: so, laut Schlaraffenland, könne man die Strahlen der Herbstsonne einweben. Donna Harraway hat sich die string figures für ihr Buch „unruhig bleiben“ als strukturierendes Motiv genommen. Es verdeutlicht die Mulitperspektivität, die es braucht, um neu und beunruhigt mit der Gegenwart umzugehen.
Als ich neulich mit meiner Mutter beim Bahnhofsimbiss saß, dachte ich plötzlich an diese string figures. Sie trank einen grünen Tee mit Jasminaroma, ich aß eine Linsensuppe, wir saßen auf einer enorm beigen Kunstledercouch, hinter meiner Mutter war der Spruch: ‚Essen und Trinken sind die schönsten Dinge im Leben‘ zu lesen. Neben uns fluchte ein wütender IT-Mann an seinem Smartphone und hatte seine große, synthetische Umhängetasche zu nah an meine Mutter gestellt. Sie rückte defensiv zur Seite und musste sich ein wenig beugen um ihren Teebecher zu erreichen. Meine Mutter erzählte mir in Gebärdensprache die ein oder andere Story und ich war plötzlich irgendwie elektrisiert, wie sie ihre Hände benutzt, wie selbstverständlich bewegen sich ihre Finger, sagen in Bewegung so viel, verbinden sich flirrend mit der Umgebung, ihre Mimik ist so lebhaft und ihre Laute so gespenstisch.
Ihre Lebenswelt verband sich in diesem Moment mit dem Setting, mit der Vergangenheit, mit mir und ich verstand die manuelle Gestaltung von Worten fast wie ein Smart Phone, auf dem man hin und hergeleitet und Bilder hervorholt und wie die Erstellung von kleinen Hologrammen, die miteinander in Kontakt gesetzt werden. Dieser praxisnahe Transport von visueller Sprache, Bildmaterial, Zusammenhängen von Innen nach Außen entspricht so gar nicht der gesprochenen Sprache.
Die Leute labern einen immer so voll mit Worten und anderen Worten und hören gar nicht auf zu reden und dann benutzen sie auch noch Floskeln und Füllwörter. Ich mache das natürlich auch. Staune dann darüber und erstaune immer weiter über ambivalentes, automatisiertes Verhalten.
Eben zum Beispiel bin ich das erste Mal seit langer Zeit zu Mc Donalds gegangen, weil ich etwas Warmes essen wollte und an dem Bahnhof gab es aber nichts anderes Warmes - bei Kamps gab es nur zu große Gebäckstücke mit sprödem Zuckergeröll. Ich wollte lieber Bauchschmerzen von einem Filet-O-Fish bekommen. Mein Zug hatte Verspätung - ich stand also im McDonalds, denn da war es zwei Grad wärmer als draußen. Ich starrte nach vorne und mampfte den Fischburger zu dem ich außerdem diese Barbecuesoße bestellt hatte. Links und rechts von mir lehnten weitere Personen und standen und mampften. Rechts von uns, etwa fünfzig Zentimeter über unseren Köpfen lief ein Nachrichtensender und berichtete über unser Plastikproblem. Viel zu laut liefen diese Nachrichten oder sie kamen mir in ihrer Lautstärke ansteigend vor und berichteten davon, wie schädlich Plastik ist, dass auf Bali der Plastiknotstand ausgerufen worden sei und zig Tonnen und als ich aufblickte sprach eine Frau etwas und unter ihr stand ihr Name und die Unterschrift „Plastik schadet Tieren“ und ich musste lachen. Der beschissene Burger in meinem Mund, die Erleichterung, dass ich kein Getränk genommen habe, in dem ja jetzt ein Strohhalm stecken würde und dann diese hohle Unterschrift und das schlechte Gewissen und ich sagte unverhofft zu meiner Stehnachbarin: „Ganz schön schwer die Berichterstattung auszublenden, was?“ - Die Frau schluckte erschrocken und lächelte und dachte nach, sagte dann: „Ja, wir leben in einer schrecklichen Gesellschaft, oder?“ Und ich antwortete: „Aber wir sind doch die Gesellschaft.“ Sie sprach dann davon, dass man sich so schwer entziehen könne und ich sagte nur „Aber schmeckt geil.“ Dabei schmeckte es nicht geil. Es schmeckte nach irgendwas, was mich an meine Kindheit erinnerte, als ich manchmal nach der Schule auf meinen Vater gewartet habe und wir dann zu Mc Donalds gefahren sind (er aß immer Mc Rib und ich aß Mc Chicken und dieser Filet-O-Fish hat so eine ähnliche Soße wie der McChicken, und die Barbecuesoße erinnert mich daran, dass ich bei meinem Vater immer abbeißen durfte).
Abschließend schob die Frau noch „Eigentlich gehe ich ja nie zu Mc Donalds.“ hinterher. Ich antwortete, dass ich auch selten ginge. Joshua brachte vor letztes Jahr den Begriff Dissonanzreduktion ins Spiel. „ (…) Gleichzeitigkeit als Realität“ schrieb er da. Ich empfinde Objekte, Bilder, Materialien, Gesten und Farben so viel mehr als verständliche Maßnahme zur Weltstrukturierung als das gesprochene oder geschriebene Wort. Aber dann schreibe ich mir doch was auf und jetzt schreibe ich hier was auf und für mich entstehen da Bilder, wo ich keine gemacht habe. Hexenspiele. Jetzt ist auch Halloween gewesen. Halloween bedeutete früher für mich, dass die Serien, die ich so geschaut habe, Simpsons, Roseanne, Bill Cosby Show (alle außer Simpsons übrigens nicht mehr vorbehaltlos zu empfehlen, Roseanne ist rassistisch, Cosby ein Straftäter) waren gruselig ausgestattet. Dieses Jahr bedeutet es für mich, dass ich Sabrina gucke - The chilled life of Sabrina. "The chilling adventures of Sabrina“ heißt es eigentlich, aber ich habe es mir falsch gemerkt und mag die falsche Variante lieber. In Folge vier der ersten Staffel steht Sabrina in ihrem Haus, ihre Tanten und ihr Cousin sind vom Schlafdämon verzaubert, sie ist irgendwie in der Lage sich dem Zauber zu entziehen und bannt den Dämon mit einem Zauberspruch zu dem sie einen Wollfaden in ihren Händen spinnt und eine string figure formt. Der Schlafdämon Batibat wird von den Begleiterinnen ihrer Tante Hilda, Spinnen, eingesponnen. „…, dann entwerfe ich einen Namen für ein Anderswo, für ein Anderswann, das war, immer noch ist und sein könnte: das Chthuluzän. Ich erinnere mich daran, dass Tentakel vom lateinischen tentaculum kommt, was ‚Fühler‘ bedeutet, und von tentare, das tasten und ausprobieren meint; und ich weiß, dass meine langbeinige Spinne vielarmige Verbündete hat. (Anm. d. Red.: z.B.: meine Mutter). […] Die Tentakulären verwickeln mich in SF. Ihre Gliedmaßen sind Spielfäden in Fadenfiguren. Sie verwickeln mich in poiesis, in das Herstellen von spekulativen Fabeln, Science-Fiction, science fact, spekulativen Feminismus, sein de ficelle, bis jetzt (so far).“ (S. 49, Tentakulär denken, In: Unruhig Bleiben, Donna J. Haraway, 2018) sic!