Die Tresen-Kolumne: Sorgenniveau
Sorgenniveau
Ich habe geträumt, ich war ein schöner Laib Brot, vielleicht ein Gerster. So lag ich im Bett und musste mit dem linken Arm weit ausholen, um mit einem großen Messer die Butter zu erreichen, mit der ich mich schön dick selbst bestrich. Die mittlere bis obere Mittelschicht einer Gesellschaft, hier im speziellen der deutschen, als soziologische Größe ist einem besonderem Druck ausgesetzt: dem Druck des Statusabstiegs. Dieser Schicht gehören auch die Künstler_innen an. Die Definition dieser Gruppe basiert weniger auf ökonomischen denn auf Ausbildungs- und Verantwortungs-Parametern. Um nicht in die untere Mittelschicht und somit in die Verantwortungs- und also auch Entscheidungslosigkeit zu fallen - und die lockende Aussicht auf eine sog. Cross-Class-Coalition mit der Oberschicht in Sichtweite - müssen Weiterbildungen, Akquise und Unique-Selling-Points konstant neu aus dem kreativen Kopf gestampft werden. Nur so schafft man es zu prekärem Wohlstand. Das allgemeine Sorgenniveau um den Arbeitsplatzverlust innerhalb dieser Schichten ist zwar im Vergleich zu ihrem Höhepunkt im Jahr 2004 um 15% gesunken (vgl. Holger Lengfeld und Jessica Ordemann, in: Die Mitte als Kampfzone, Transcript Verlag 2018, S.74 ff.), die spezifischen Sorgen von Künstler_innen um stagnierende oder einbrechende Auftragslage durch ihre Peers wie Galerien, Museen, Kunstvereine, etc. ist allerdings weniger Konjunktur- als von persönlicher bzw. Drittpersonen-Akquise abhängig. Und so bestreiche ich mich Nachts mit Butter, als das leckerste Brot am Markt, um prachtvoll glänzend meine Chancen auf Auftragsvergaben zu erhöhen: Bürger_innen Hamburgs, leiht mir eure Augäpfel! Schaut nur, habt ihr je so gutes Gerster gesehen?