Die Tresen-Kolumne: Snake
Das Jahr rinnt mir zwischen den Fingern hindurch und in die Nächte schleicht sich traditionsgemäß wieder eine gewisse Zukunftsangst. Ich habe einen Plan bis Februar, danach weiß ich noch nichts, eine Ausstellung im Mai, ok. Das ist zwar nichts neues, aber manchmal breitet sich so ein hohles Gefühl im Bauch aus, dunkel und süßlich, wie ein zu großer Schluck kalter Jasmintee. Der Vater von E. hatte sich eine Pistole besorgt für den Fall, dass es ihm in seiner Haut irgendwann zu arg wird. Dann wurde er krank und es wurde ihm zu arg aber er konnte nicht mehr auf den Stuhl steigen, um an den hohen Schrank zu kommen, auf dem er sie versteckt hatte. Alles steht auf Anfang, Schwestern, die Familien gründen, Freund_innen in ihren ersten Galerieverträgen, oder zweiten, oder dritten, mein erstes (zweites) Buch erscheint. Wie ein Wettläufer vor dem ersten großen Rennen. Wenn ich das gewinne, dann laufe ich nächste Woche das nächste und dann das nächste und dann das nächste, bis ich irgendwann langsamer werde und dann dritter und dann fünfter und dann letzter werde, dann Karriereende – der Kassenwart spricht zum sportlichen Abschied noch eine Dankesrede, der Verein erhebt sich. „Du, und daran werden wir uns immer erinnern, warst immer erster oder dritter oder fünfter oder letzter und das war gut und nicht so gut und manchmal beides.“ Zukunft ist nicht so mein Thema. Ich bin Snake und ich esse was vor mir liegt: November, Dezember, Januar, Februar - bis ich selbst das Display fülle, bis ich ein langer Schlauch verdauter Zeit bin und mir zwangsläufig über die Füße falle.