Die Tresen-Kolumne: Moralische Fallhöhe
Extinction Rebellion (XR) scheint im Milieu meiner Kulturarbeitskolleg_innen gerade eine ähnliche Anziehung zu erfahren wie damals, so 2012 vielleicht, Occupy. Beide wurden mehr oder minder erfolgreich in Ausstellungsbetriebe integriert - Occupy als „Human Zoo“ bei der documenta 13 und der sich zeitlich überschneidenden Berlin Biennale und XR als enttäuschende Performer_innen in der Ausstellung „Political Affairs“ im Kunstverein Hamburg im Frühjahr 2019. Warum diese und nicht all die vielen anderen Teile sozialer Bewegungen, die diese Kämpfe schon lange führen, ihren Weg in die Kunst finden, liegt wahrscheinlich an dem moralischen Gestus ihrer Sprache und Aktionen, den schwammigen Utopiekonzepten und der Weigerung, ihre Analyse der Krise bis zur kapitalistischen Grundstruktur der Gesellschaft fortzuführen. XR ist ein Kind ihrer Zeit, eine soziale Bewegung der alternativlosen Staatlichkeit, wie Jutta Ditfurth neulich in der FAZ feststellte. Sich vorzunehmen, gewaltlos zu sein ist ja erst mal eine gute Idee, die Defintionsmacht, was Gewalt und was keine Gewalt ist, liegt in Deutschland nur leider gepachtet bei den staatlichen Organen.
Gewaltlosigkeit und Kunst haben da eine definitorische Gemeinsamkeit: beide werden von Dritten definiert, man kann sie sich nur bedingt selbst zuschreiben. Bewegt man sich im Rahmen der bestehenden Ordnung, kann man von dort die Gewaltlosigkeit proklamieren, nimmt man Teil an den Institutionen der Kunst, werden die kreativen Artefakte aus der Kellerproduktion zur Kunst.
Das führt für eine Bewegung, die ein generelles Umlenken der politischen Fahrtrichtung erreichen möchte, zum Beispiel in der Klimapolitik, zu einem Paradoxon: Die geteilte Erzählung darüber, dass das, was man tut gewaltlos sei, funktioniert nur so lange, wie man keine ernsthafte Bedrohung für den Status Quo und seinen Agent_innen darstellt. Wie die G20 Prozesse zeigen, kann das auch in eine andere Richtung gehen. Dort wurde und wird zum Teil die bloße Anwesenheit an einer Demonstration, von der aus staatlicher Perspektive „Gewalt“ ausging, zur psychologischen Unterstützung von Gewalttaten, also einer Art Metagewalt hochgejazzt und geahndet. Dass Gewalt ein fließender Begriff und vor allem eine Frage der Perspektive ist, das wissen vor allem Menschen, die tagtäglich von sprachlicher und körperlicher Gewalt betroffen sind, für die es eben keine allgemeine Definition im Grundgesetz gibt. Sich auf Gewaltlosigkeit zu berufen und daraus im Dialog mit anderen eine moralische Fallhöhe zu machen, bedeutet dann vor allem, dem Status Quo, den man doch eigentlich verändern wollte, das Fundament zu erweitern. Schade.