Die Tresen-Kolumne: Keksteller
Hildesheim: Besuch in der Stadt meiner Kindheit. Ich werde zum Essen eingeladen bei alten Nachbarschaftsfreunden. Meine gesamte alte Bezugsgruppe hat Häuser gebaut oder gekauft und Familien gegründet. Gerade ist Angeln und Räuchern hier ein valides Hobby. In den Gärten werden Öfen gemauert und die Gesichter mit Bärten behängt. Junge Männer*, die, einmal saturiert, plötzlich die „kriegerischen Instinkte“ der Familienverpflegung entdecken und den Kühlschrank randvoll mit der geomantischen Magie des persönlich Erschlagenen füllen. Männer* voller Sorge um die Zukunft der Welt und die Zukunft ihrer Familie. Es ist schon bemerkenswert, wie wenig dieses Hobby tatsächlich zur Reproduktionsarbeit der Familie beiträgt und ich glaube, darum geht es auch ein bisschen. Man kann den besorgten Versorger spielen, aber welches 2-Jährige Kind kann man mit in Portwein eingelegtem Roastbeef ernähren: „Sorry Darling, aber dein Mittagessen dauert noch acht Stunden“. Solche Männerkochgruppen sind eben nicht Treffen von Reproarbeitern, sondern auch misogyne Offensive dieser spezifischen Zeit. Es geht um Definitionsmacht und die Möglichkeit, Recht zu behalten. Ich erkenne mich selbst und das stört mich. „Eine echte Bolognese braucht mindestens sechs Stunden“, hab ich zu meiner Mutter gesagt, nachdem ich in Italien war. Ja, so what. Wenn man alleinerziehend ist und die Kinder (jeden Tag) aus der Schule kommen, dann kann man eben nicht draussen erstmal den Smoker anheizen, damit es 12 Tage später gebeitzten Lachs gibt. Es geht darum, Recht zu behalten und zu wissen, was „vernünftig“ ist. Es geht darum, „richtige Ernährung“ zu einer Frage von Kraft und Durchhaltevermögen zu machen. Ich habe die Vermutung, wenn man Spekulatius erschießen könnte, dann hätte es gestern Abend Keksteller gegeben.