Die Tresen-Kolumne: Appendix im Süden
Appendix im Süden
Am Sonntag wurde zum letzten Mal das Bildungsformat „Track Academy“ im Kunstverein Harburger Bahnhof veranstaltet. Es wurde dazu eingeladen, dem Publikum des Kunstvereins bei einem Spaziergang durch Harburg, eben jenen Appendix im Süden als historisches und heutiges Arbeiter_innenviertel näherzubringen. Geführt und erzählt wurde von einem Menschen aus der Geschichtswerkstatt Harburg, Es gab an diesem Tag auch noch andere Programmpunkte im Kunstverein, bei denen ich allerdings nicht dabei sein konnte. Ich hatte zwei Tage Spätschicht am Tresen hinter mir, vielleicht drei Stunden geschlafen und große schwarze Dreiecke unter den Augen, also kapitulierte mein Körper schon nach Programmpunkt 1. Da es am Nachmittag noch ein Künstlerinnengespräch mit Chris Reinecke geben sollte, kamen kaum Hamburger Künstler_innen zum Spaziergang, der zeitlich davor lag. Es waren also hauptsächlich Harburger Locals, im Durchschnitt 50+, zum vereinbarten Zeitpunkt im Kunstverein versammelt. Sie kannten zwar alle Harburg schon, aber den Kunstverein noch nicht so sehr. Zumal, zu meinem Leidwesen, ein Punkt auf der Ausflugsroute Falckenbergs Sammlungsspeicher war, den ich wirklich neben dem Kunstverein als einzigen Ort in Harburg einigermaßen gut kenne. Dem Menschen von der Geschichtswerkstatt ging es eigentlich um die Phoenixwerke, ihre Architektur und ihre Anbindung an Harburg, doch Falckenberg persönlich wollte dann doch noch das Wort an die Spazierenden richten und so wurde es eine Laudatio auf die Privatwirtschaft und sein selbstloses Engagement für Harburg, den Stadtteil, den er mit seiner Sammlung beschenkt hatte, und ein bunter Strauß Seitenhiebe auf die Kulturbehörde und deren Betonköpfe, die nicht so machen wie er das, und seiner Meinung nach „die Hamburger Öffentlichkeit“ auch, gerne hätte(n). Unendliche Reden, die all diejenigen schon tausend mal gehört haben, die in irgendeiner Form in Hamburgs zeitgenössischer Kunstlandschaft unterwegs sind. Für die Harburger Locals war es allerdings anscheinend neu, viele waren zum ersten Mal in der Sammlung und eben genau diese Einführung in das Lebenswerk Falckenbergs durch Falckenberg persönlich ein echtes Highlight der Tour. Scheinbar ist das schwarz gestrichene Gebäude hinter dem Bahnhof mit den dicken Türen, an denen man klingeln muss, um Einlass zu bekommen, ein lokaler Mythos und dass der alte, berühmte Mann im beige-farbenen Trenchcoat höchstpersönlich den Menschen vor Ort die Tür öffnet, eine echte Story zum Weitererzählen. Als dann die Tour weiterzog, hörte man aufgeregtes Tuscheln: „So sieht der also in Echt aus!“ oder „Ich hab Ihn mir gar nicht so freundlich vorgestellt!“ Die Phoenixwerke haben sich stark verändert. Sie stehen leer oder behausen ein Kunstschaulager, für das Menschen, so wie ich, von der anderen Seite der Elbe anreisen und Harburg danach fluchtartig wieder verlassen. Die Siedlungen der Arbeiter_innen wiederum, die das ganze Areal umgeben, sind Arbeiter_innensiedlungen geblieben. Daran konnte auch die Sammlung Falckenberg nichts ändern. Ob das gut oder schlecht ist, weiß ich nicht so genau. Dass der Kunstverein, im Gegensatz zur Sammlung Falckenberg, sich selbst als Akteur_in in Harburg positioniert und den Dialog mit den Menschen, die dort leben und arbeiten, sucht, ist den dort verantwortlichen Personen hoch anzurechnen.