Die Tresen-Kolumne: A Hired Gun
A Hired Gun
Es gibt Menschen, die heißen genau so wie man selbst. Also mit Vornamen ist das eh kein Big Deal. In der Orientierungsstufe, so nannte man in Niedersachsen die Klassen 5 bis 6, in die alle Kinder gingen, deren Eltern nicht das Schulgeld für die evangelischen-, katholischen- oder Waldorfschulen bezahlen konnten oder wollten, waren vier Dennisse in meiner Klasse. Man konnte sie gut nach ihren Fußballtrikots sortieren, oder halt nach Nachnamen. Keiner der Vier hat am Ende eine Gymnasialempfehlung bekommen. Und ja, ich glaube, hinter Namen und Empfehlung des zukünftigen Schulabschlusses durch die Lehrer_innen könnte man eine Struktur vermuten. Obwohl: Eigentlich hieß meine ganze Klasse wie der Cast von Beverly Hills 90210, mit Außnahme von Umut und Cemil, aber die kamen, obwohl sie meine wichtigsten Bezugspersonen waren, auch nicht durch die Auswahl des Schulpersonals. Ein Jahr später im Gymnasium gab es nur noch Annikas und Tilmans und Michaels und Maries und Julians. Die waren vielleicht nach dem Cast der Bibel benannt oder anderer Bücher mit vielen Seiten. Deren Eltern schauten vielleicht auch Beverly Hills oder California Clan oder Springfield Story, aber aus Abgrenzungsinteresse einer akademischen Mittelschicht nannte man seine Kinder lieber nach Astrid-Lindgren-Protagonist_innen. Kurzer Exkurs zu Vornamen: Dass sich Menschen allerdings Vor- und Nachnamen teilen ist schon seltener. Dass sich Menschen Vor- und Nachnamen teilen und dann auch noch den selben Beruf haben, ist schon wirklich ein bisschen bescheuert. Bei mir ist es so. Es gibt einen Tilmann Walther, ok, man beachte das eine N zu viel, der ist zehn Jahre älter als ich und hat an der HfbK in Dresden studiert. Er arbeitet, eigentlich viel mehr als ich, als Künstler, als Bildhauer, um genau zu sein. Er macht hauptsächlich so große Holzskulpturen, teilweise realistisch, teilweise abstrakt. Das ist so Kunst, die man sich gut in den Flur stellen kann, wenn er groß genug ist, oder in den Wintergarten. Kunst, die nicht stört, aber ein gutes Gefühl macht. Natürliches Material, welches die Verbindung des Menschen mit der Natur, aber auch die Herrschaft des Geistes über das rohe Zeug ausstrahlt. Neben so einer Skulptur kann man gut „Die Zeit“ lesen oder „Deutschlandradio Kultur“ hören: Es beißt sich nicht. Letztes Jahr hatte T.W. eine Ausstellung in der Produzentengalerie Dresden. Die Ausstellung hieß „A Hired Gun“ und bestand aus seiner neuen Werkserie übermalter Fotografien und ein paar bemalter Kugeln unterschiedlicher Größe auf Sockeln. In Dresden und Leipzig scheint T.W. ein ganz gutes Standing zu haben. Da wir beide jetzt überregional aber eher mittel(er) bis wenig(ich) bekannte Künstler sind, kommen wir uns nicht in die Quere. Sollte sich das irgendwann einseitig ändern, müssen wir reden. Dann muss er seinen Namen halt ändern, ist ja eigentlich klar. Als uns unsere Eltern benannt haben, war ihnen die Möglichkeit eines Kunststudiums ihres Kindes wohl nicht bewusst. Dafür ist der Name zu normal langweilig. Ein guter Name für die Kunst hat mindestens zwei Silben, besser drei oder vier. Wenn man sich durch die Jahrgangsbücher der HfbK blättert, liest es sich nicht von ungefähr wie das Lehrpersonal von Hogwarts: Petersilie Di´Caprio oder Franz Eisenfaust oder Merlin Amadeus DuClaire oder Iggleroy Suneaterman. Das sind gute Namen. Viele Eltern, die selber aus dem kreativen Milieu stammen, hatten das anscheinend im Blick: Die Outstandingness ihrer Kinder auf einem Markt, in dem es um die Festigung einer Marke geht.