Kolumne von stringfigures: Sedierung / Atemlosigkeit
Manchmal komme ich mir schon vor wie so eine spießige Aufpasserin, meine spitze Wahrnehmung von meiner Meinung nach toxisch männlichen Standpunkten macht mich selbst ganz marode, bin genervt. Von mir? Ernsthaft von mir genervt? Sollte ich nicht selbstbewusst genervt sein von:
Till Lindemann, der seine lyrische Premiere mit einem Reim über eine Vergewaltigungsgeschichte hat und dafür von zwei Männern verteidigt wird?
Richard Kern, der für sein neues Buch Medicated tendenziell eher nackte Frauen fotografiert, die ihre Medikamente gegen ihre massiven Angststörungen in die Kamera halten.
Die Liebe frisst das Leben - ein dokumentarischer Musikfilm über den verstorbenen Tobias Gruben, bei dem genau zwei Frauen und fünfzehn Männer seine Lieder interpretieren / zu Wort kommen.
László F. Földényi, dessen Buch mit dem wunderbaren Titel “Lob der Melancholie” mich inhaltlich hätte überzeugen können, hätte er sich nicht ausschließlich auf männliche Kunstwerke bezogen.
u.v.m.
I AM BORED of this perspective.
Selbst im engen Freundeskreis muss ich ständig die gleichen Diskussionen führen oder eben nicht. Entweder die anderen wenden sich genervt einem anderen Thema zu und ich sitze verletzt in der Runde oder ich rolle wütend die Augen und sage, „…lass uns über was anderes reden." Oder ich diskutiere tapfer weiter, nerve mich selbst, obwohl ich von den Zuständen genervt sein sollte und nach einer langen Diskussion über Privilegien, die dann therapeutisch auch Rassismus einbezieht ist oft doch nachdenkliche Stille.
Im Studium wurde mir von einem männlichen Professor mal gesagt, es gebe Frauenkunst, davon sollte man sich Fernhalten.
Ein Galerist sagte mir, wenn ich gedenke Kinder zu bekommen, könne ich gleich mit der Kunst aufhören.
Als die Künstlerin Marcia Breuer ihre Initiative „Mehr Mütter für die Kunst" in die Öffentlichkeit brachte, freute ich mich so über die kleine Welle an Unterschriften, dass ich erst gar nicht bemerkte, dass hauptsächlich Frauen unterschrieben:
http://www.mehrmütterfürdiekunst.net
In der Zeit wurde ein kleines Interview mit ihr veröffentlicht, die Kommentare sind inzwischen: Entfernt. Bitte formulieren Sie Kritik sachlich und differenziert. Danke, die Redaktion/tg
https://www.zeit.de/hamburg/2019-11/marcia-breuer-manifest-muetter-kuenstlerin-hamburg
Ich leitete ihre Initiative an meine Künstlerfreund:innen und prompt rief mich ein guter Freund, Vater, zurück. Wir haben uns sehr gern und doch stritten wir am Telefon. Was sei mit den Vätern? Ich bat ihn, eine Vaterinitiative aufzumachen, dann könne man sich zusammentun. Und doch versuchte ich ihn und mich zu überzeugen, dass da ein Unterschied sei: „Bist du auf einer Vernissage schonmal gefragt worden, wo deine Kinder sind? Wie es deinen Kindern geht?" - „Nee." Ich werde das an jeder Vernissage, auf jeder Veranstaltung mindestens drei Mal - meistens von Männern gefragt. Lieb gemeint. Aber lasst stecken.
Besonders gern erinnere ich mich an einen Abend in einem renommierten Institut in Süddeutschland. Ich hatte eine Ausstellung, mein Sohn war etwa 18 Monate alt und ich war bei einem Abendessen mit allen important peoples. Vor allen wurde ich von dem Leiter des Instituts gefragt ob mein Mann das denn alleine hinbekomme mit dem Baby so ohne mich. Ich war so wütend, wusste gar nicht worüber ich am meisten wütend war:
a) dass er meinen Freund als meinen Mann bezeichnet
b) dass er zu wissen glaubt, dass ich eine heterosexuelle Beziehung habe
c) dass er denkt, eine Mutter sei doch das Beste
d) für ein 1,5 Jahre altes ‚BABY’
e) dass ich mein Kind bei einer inkompetenten Person lasse
f) dass ich einen inkompetenten Partner habe
g) bäh!
Ich atmete schwer durch und antwortete: „Selbstverständlich! Ging das bei Ihnen nicht?" Und die Stille im Raum war atemberaubend laut.
Ich lachte locker flockig, was ich nicht kann. Ich kann immer nur sagen, was mir in den Kopf kommt und dann platzt es aus mir heraus und alle sind erschrocken. Alle lachten locker flockig, was keine:r konnte und wir wechselten schnell das Thema.
Und nun?
Nun, nachdem mein Partner und ich uns in unserer heteronormativen Cis-Partnerschaft einen sehr großen Teil unserer tief verwurzelten Rollenklischees einer Mutter und eines Vater in einer weißen, biodeutschen Ost-West Kleinfamilie bewusst geworden sind, nachdem wir uns Listen geschrieben haben um der Mental Load auf die Schliche zu kommen und um sie auszumerzen
https://english.emmaclit.com/2017/05/20/you-shouldve-asked/
und festzustellen: wir müssen erschreckend ehrlich zu uns selbst sein, zu einander um eine gleichberechtigte Beziehung mit Kind in dieser Gesellschaft zu entwickeln.
Nun kommt ein kleiner Virus und schwupps - Mama bleibt zu Hause, macht Kunst in ihrer Freizeit, Papa geht arbeiten und einkaufen und mein neues Hobby ist der Garten.
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Der Text war hier mal zu Ende. Ich hatte ihn gespeichert. Und dachte dann - nee. Das ist nicht der Punkt mit dem man hier abschließen kann. Durch diese Formulierung passiert, was mein ganzes Leben lang passiert: Herabwürdigung von Carearbeit. Aus meiner Biografie, aus gesellschaftlichen Erfahrungen heraus sehe ich es nicht ernsthaft als Nachteil an mit L zu Hause zu bleiben?!
Wenn mein Freund heimkommt, traurig ist, dass er L nicht gesehen hat, genervt ist, dass er den ganzen Tag vorm Rechner saß. Und ich war mit L im Park, lecker Eis essen, Füße ins Wasser gehalten,
große Fragen beantworten
(Mama, früher als du Kind warst gab es keine Handys? Nein. Aber Dinos?)kursive Schrift