stringfigures@rhizome.hfbk.net: Qualität
joy
misery
dreams
reality
hope
gravity
Ich war seit langem mal wieder bei einem Konzert um es zu fotografieren. Natürlich gab es kein Geld sondern nur Gästeliste+1, aber ich hatte Bock und ok. Ich habe eine halbwegs gute Digitalkamera sowie ein sehr gutes Objektiv. Ich werde manchmal gefragt, mit welchen Kameras ich arbeite - das sind dann so „Foti“ - Leute, wie Alexander Rischer neulich süß beschrieb. Technisch brilliant, immer up to date und immer einen flotten Techtalk auf den Lippen. Ich werde jetzt keine weiteren Informationen zu meiner Kameraausstattung an diesem Abend geben, aber ich hatte alles zur Hand, war vorbereitet und stand wie immer relativ weit vorne, was ich nie mag. Ich musste mich vor die Leute stellen, um ein paar Bilder zu machen. Dann ging ich, im Laufe des Konzerts etwas weiter nach hinten und war fertig mit fotografieren.
Ich versuche das immer möglichst gelassen zu erledigen, aber meistens rege ich mich doch über folgende, in 99% der Fälle immer vorhandene Situation auf:
viele (ältere) (bin ich auch schon älter?) (also ältere als ich) Männer (oder sind es manchmal auch junge Menschen?) stehen mit megakrassen Kameras und noch krasseren, vor allen Dingen langen Objektiven im Publikum und fotografieren sehr hektisch und schnell und wild die ganze Szenerie. Sie nehmen ihren Job sehr ernst und ich frage mich dann immer, ob ich ihn hingegen nicht ernst genug genommen habe? Durchgehend wird jede Bewegung seziert, fotografiert und in Scheiben geschnitten. Mit 800 000 Bildern pro Abend sitzen die doch dann noch die ganze Nacht vor dem Rechner!?
Ich habe mich an dem Abend aber auch noch von etwas anderem beeindrucken lassen. Viele Menschen haben ein neues I-Phone. Dieses neue Smartphone hat drei Kameralinsen und kann alles aussehen lassen, wie hochprofessionell beleuchtet und mit teurem Equipment fotografiert. Man hält das neue Gerät in die dunkelste Ecke und das fotografische Ergebnis ist blendend: eine knackscharfe, darke, romantisch abgefuckte Ecke, die heller und besser aussieht als die echte Ecke. Ein Typ aus dem Publikum hat die Frontsängerin mit dem I-Phone so nah herangezoomt, dass ich dachte: das muss doch verboten sein, jemanden mit seinem privaten Handy so nah aufzunehmen, dass man das Gaumenzäpfchen sieht.
Mit diesen konservativen Gedanken habe ich mich an diesem Abend also rumgeschlagen. Während ich ein Bier trank habe ich darüber nachgedacht, wie nah Qualität an Realität sein kann und muss und will?
Wie hochauflösend soll ein Bild sein um so gut es geht die Realität abzubilden? Wie viel besser als das fotografierte Objekt kann die Qualität eines Bildes sein? Und was ist Qualität? Ist Qualität gut? Ab wann ist eine so called gute Fotografie nicht mehr als eine Beauty - App 4 ur life?
Die Qualität eines Bildes (digital oder analog, Bildschirm oder Print, egal) verweist auf die Herkunft der Bilddatei / Materialität / Person / Augenblick / Kommerzialität / Amateurbereich / Profiamateurszene / Schnappschuss etc. Es macht großen Spaß die unterschiedlichen Verweise eines Bildes und seiner Qualität für meine künstlerische Arbeit zu nutzen, vielleicht lebt meine Arbeit sogar von diesem Netz aus Informationen, die den Status Quo unser medial geprägten Fotowelt ausmacht. Aber manchmal komme ich nicht so richtig hinterher. Es langweilt mich zu sehr, mich mit der neusten Bildgebungsverfahren auseinander zu setzen, Foren oder gar Bedienungsanleitungen zu lesen. Ich kriege dann vor Langeweile Herzrasen und einen Kloß im Hals.
Qualität ist ja eigentlich nur die Gesamtheit der charakteristischen Eigenschaften einer Sache. Die Beschaffenheit einer Sache - doch irgendwie ist der Begriff „Qualität“ so wie der Begriff „Ästhetik“ in unserer Sprache so besetzt, dass es so wie „hochwertig“, „wertvoll“, … eingesetzt wird. Möglicherweise liegt das daran, dass neue, fotografische Entwicklungen teuer sind und wenn man sich die leisten kann „hat man es geschafft.“ Und da sind wir wieder bei höher, schneller, weiter…besser. Am besten. Am längsten. Schwanzvergleich.
Dieses Grundgefühl hat mir schon damals bei den Bildern von Gursky ein Unwohlsein verschafft.
Wohingegen ich einige Aufsätze des Künstlers Thomas Hirschhorn sehr liebe, beispielsweise:
http://www.thomashirschhorn.com/energy-yes-quality-no/
von 2013:
“Why “Energy: Yes! Quality: No!”?
I can only do a project about something I believe in. I know what has energy; I know where there is energy. “Energy: Yes! Quality: No!” […] Energy is what I can share and Energy is what is Universal. “Energy: Yes!” is a statement for movement, for the dynamic, for invention, for activity, for the activity of thinking. […].
“Energy: Yes!” is to oppose thinking in terms of ‘quality’ and the criteria of Quality.
I am against the label Quality, everywhere, and in Art also of course. Therefore I propose to follow the guideline “Quality: No!” and oppose it to: “Energy: Yes!”. But, “Quality: No!” is the refusal to be neutralized by the exclusive criteria of Quality. Quality is the luxury reflex to keep a distance with everything which doesn’t have Quality. I don’t know what has Quality, nor where there is Quality.“
Klar, auch Hirschhorn hat seine Schwierigkeiten, seine fast totalitären Aussagen im Kunstmarkt umzusetzen, man denke nur an seine Arbeiten „Pixel Collage“ von 2017, wo ich finde, dass er den Dreh mit der Qualität und der Energie irgendwie nicht so raushatte.
Aber sein Raum in der Kunstsammlung Falckenberg ist wirklich sehr energetisch qualitativ und qualitativ mies gelungen. I feel it.