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Fernsehen
Mit zwölf habe ich einen kleinen Fernseher geschenkt bekommen. Meine Eltern haben damals nur das Erste geschaut, weil das der einzige Sender war, der Zeitweise Untertitel für Hörgeschädigte hatte. Ich erinnere mich, dass ich mit meinen Eltern immer Lindenstraße geschaut habe. Auch Tagesschau. Sonntags 11.30 Uhr Sendung mit der Maus. Zuvor Disney Club.
Auf meinem eigenen Fernseher habe ich dann extrem viel ferngesehen. Ich kam aus der Schule, war meist gegen 13.45 Uhr zu Hause, aß schnell und machte meinen Fernseher an. 14 Uhr Arabella Kiesbauer. Dann Andreas Türk, glaube ich. In dieser Zeit machte ich unkonzentriert meine Hausaufgaben. Dann ging ich raus, Freunde treffen, kam heim, aß schnell und dann manchmal mit Glück Explosiv, dann Friends, Simpsons, Roseanne, oder was grad lief. Samstags mochte ich besonders. Eine Weile liefen die Serien Xena und Herkules, dann Charmed und Buffy. Nachts schaute ich manchmal heimlich Peep! mit Verona Feldbusch. Ich liebte Werbung.
In der Stadt starb bereits meine Gegenwart. Ich fand, dass sich viel veränderte. Einkaufszentren eröffneten, es wurde ein enormer CinemaXX gebaut. Die Kinos schlossen. In einem ehemaligen Kino in der Königsstraße eröffnete dann das 1-Euro Kino. Dort konnte man alte und nicht mehr ganz neue Filme für einen Euro ansehen. Wir gingen dort ständig hin, aßen maßenhaft Popcorn und tranken süße Limonaden deren Namen ich nun gar nicht genau weiß. Vielleicht tranken wir auch schon Erdbeersekt.
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Plötzlich hasste ich Fernsehen gucken. Ich kann mich gar nicht erinnern, wann es dann zu viel war. Wann diese Leere auftrat, mit der ich all das Programm, die Werbung, das Sitzen und Gucken verband. Ich wollte raus. Das hält bis jetzt an. Ich kann mich schwer überwinden mich ins Kino zu setzen oder eine dieser Serien anzugucken, von denen alle die ganze Zeit sprechen. Nur „Zu Tisch“ auf ARTE gucke ich richtig gerne.
Ich finde, dass all diese Geschichten so aus erzählt sind. Ich bin katholisch getauft, habe in Vorbereitung auf die heilige Erstkommunion viel in der Bibel lesen müssen und später dann freiwillig das Alte Testament gelesen. Menschliche Abgründe. Hass. Rache. Mord. Totschlag. Geschäftliches. Patriarchat. Flüche und Wunder. Wenig körperliche Liebe, aber viel Sex.
Sex und Gewalt spielen auch in vielen Serien eine übergeordnete Rolle. Besonders wirkungsvoll im schnellen Wechselschnitt. Ein Orgasmus und eine durchgeschnittene Kehle. Ich will neue Erzählungen. Ich will kleine und große Erzählungen, die sich trauen neue Handlungsstränge zu entwickeln. Neue Bilder. Neues Denken.
Mir wurde zum Beispiel Mr. Robot empfohlen. Ich fand die Konstellation Hacker, Krieg gegen die Konzerne, soziophober Nerd ganz gut. Aber dann ist da wieder die Bibel. Menschliche Abgründe. Hass. Rache. Mord. Totschlag. Geschäftliches. Patriarchat. Flüche und Wunder. Wenig körperliche Liebe, aber viel Sex.
Ich war so enttäuscht nach Folge 3, dass ich aussteige und mir wieder alles erzählen lasse. Mein Freund ist sehr geduldig und erzählt mir beim Frühstück oft die Geschehnisse der letzten Folgen der Serie, die er grade anschaut. Das geht dann besser.
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Aber Zombifilme gehen gut. Hexengeschichten. Roboter. Zauberer. Monster. Chimären. Arielle, die Meerjungfrau. Da entwickele ich mich mit. Figuren die am Rande einer Gesellschaft stehen und diese hinterfragen sind spannend. Sie helfen mir, mich neu zu positionieren, alte Geschichten neu zu denken und Fragen zu stellen. Ich habe jetzt im Urlaub Stranger Things mitgeschaut. Staffel 1 kenne ich nicht. Ich kann den Satz „Staffel 1 war echt die Beste.“ nicht mehr hören. Sollen sie doch alle einfach immer nur Staffel 1 dieser Serie gucken. Ich bin bei Staffel 2 eingestiegen, habe jetzt diese dritte Staffel geguckt und es war schon ganz cool. Die Figur Eleven stellt herrliche Fragen. Sie ist wie E.T. der Außerirdische, wie das SAMS, wie ein kleines Kind, wie meine Großmutter als sie Demenz entwickelte, wie Alf, die kindliche Kaiserin, Alice, King Kong, Prinzessin Mononoke, Frankenstein, Anna Schlotterstein u.v.m. Es geht um Zwischenzustände, Unentschiedenheit, fern sehen, Fernweh, Heimweh, Untröstliches, Sehnsucht, Zweifel, Liebe, schätze ich.
„Monster haben von jeher die Grenzen eines gemeinsamen sozialen Lebens in den
Vorstellungen des Westens bestimmt. Die Zentauren und Amazonen des klassischen
Griechenlands errichteten die Grenzen der auf ein Zentrum ausgerichteten Polfis des
griechischen Mannes, indem sie mit der Institution Ehe brachen und die Reinheit des Kriegers
durch das Tier und die Frau befleckten. Siamesische Zwillinge und Hermaphroditen bildeten
im frühmodernen Frankreich das verwirrende Menschenmaterial, das den Diskurs von
Natürlichem und .bernatürlichem, Medizin und Gesetz, Wunder und Krankheit, die alle von
entscheidender Bedeutung für die Etablierung moderner Identität sind, begründete.
[…]
Wenn wir wirklich anerkennen, daß die Metaphorik der Cyborgs nichts Feindliches an sich
hat, so zieht das verschiedene Konsequenzen nach sich. Unser Körper - unser Leben, Körper
sind Topographien der Macht und Identität. Cyborgs bilden hier keine Ausnahme. Ein
Cyborg-Körper ist nicht unschuldig, Cyborgs sind in keinem Eden geboren, sie suchen sich
keine eindeutige Identität und erzeugen somit keine antagonistischen Dualismen ohne Ende
(oder bis ans Ende aller Tage); […]“
schreibt Donna Harraway in ihrem Cyborg Manifests.
Cyborg Manifesto
Haraway, Donna: Ein Manifest für Cyborgs.
Feminismus im Streit mit den Technowissenschaften. In: Haraway, Donna: Die Neuerfindung
der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen. Frankfurt a. M. und New York 1995. S. 33- 72.
(Erstmals erschienen unter: Haraway, Donna: Manifesto for Cyborgs: Science, Technology,
and Socialist Feminism in the 1980’s. In: Socialist Review 80. 1985. S. 65-108.)