Kolumne von stringfigures: Coronale Verstimmungen
Coronale Verstimmungen
Gespräch 1: Ende Februar. Wir sitzen gemütlich zusammen. Eierlikör, wenig Empfang, Corona und Kultur. Im Februar sitze ich mit Freund_innen, darunter vier Ärzt_innen, an einem Tisch. Die Kinder schlafen, wir trinken Eierlikör aus Waffelbechern mit Schokoüberzug. Ein Arzt sagt: “In vier Wochen haben wir Italien in Deutschland. Der Virus wird sich ausbreiten.” Manche machen Witze, manche gucken auf den Boden, der eine Arzt sagt „Was mache ich denn dann? Ziehe ich mir dann auch so einen Schutzanzug an? Ich hab doch keine Ahnung von diesem Virus.“ Wir diskutieren, manche tun die anstehende Herausforderung als Panikmache ab, manche sagen, es ist doch nur wie eine Grippe, ich sage, das wird schon und frage im gleichen Moment, wie Selbstständige das alles dann managen sollen? Die angestellten Leute in der Runde fragen: habt ihr keine Verträge in der Kunst? Bei deinen Aufträgen? In der Kita in der du jobbst? Ich versuche zu erklären, wie unsicher meine finanzielle Situation ist - dabei ist sie sogar bis Ende März relativ sicher - ich habe einen befristeten Arbeitsvertrag, aber dann? Ich werde nicht so recht verstanden und komme in diesem Gespräch, wie so oft, an meine Grenzen. Und an die Grenzen meiner Freund*innen. Verständnis ist nicht unendlich. Unterschwellig spüre ich eine Abwehrhaltung von der anderen Seite: Das hast du dir doch selbst ausgesucht. Dann muss man halt einen richtigen Job suchen. Sollen wir das jetzt ausbaden? Was können wir dafür? Es ist vielleicht auch nur Hilflosigkeit. Es sind aber auch Privilegien. Vielleicht bilde ich mir diese Abwehrhaltung auch nur ein. Hoffentlich.
Gespräch 2: Anfang März. Einzelne Orte in der EU sind abgeriegelt. Sollen wir jetzt doch was vorsorglich besorgen? Wer hilft uns im Notfall? Haha. Ok, kaufen wir Dosenravioli. Mein Freund und ich verfolgen teils be- teils entgeistert die aktuellen Nachrichten. Menschen kaufen sehr viel Toilettenpapier und Mehl. Andere Menschen finden das wiederum lustig und machen Witze darüber. Die Informationen über die offenen Grenzen an der türkisch-griechischen Grenze, die europäische Grenzpolitik scheinen an Relevanz zu verlieren. Die öffentliche Debatte über den Coronavirus beginnt sich zu verselbstständigen. Fakenews und Verschwörungstheorien haben ganz große Konjunktur. Meine Kollegin in der Kita sagt, der Virus kam zustande, weil chinesische Kinder lebende Fledermäuse gegessen haben. Ich starre sie ungläubig an und frage mich, ob ich das googeln soll. Sie fragt mich dann, ob ich aktuell besonders viel einkaufe. Ich sage nein. Wir werden das nicht müssen. Eine Woche später kaufe ich so viel ein wie ich tragen kann, damit ich nicht so oft in die Läden muss.
Gespräch 3: Zweite Märzwoche. Auf Zeit online lese ich: Arbeiten von zu Hause Kitas und Schulen bleiben offen Ein Oxymoron, das mich wütend macht. Klar, dieser Virus macht uns allen zu schaffen. Man muss jetzt davon sprechen, wie man Menschen schützt, die der sog. Risikogruppe angehören, wie man sich solidarisch verhält, wie die Politik verantwortlich handeln kann. Man kann anfangen zu philosophieren, was birgt die Situation für Chancen? Systemwechsel, Grundeinkommen. Aber im Detail stellt sich hier die ganz große Frage nach deinem sozialen Stand? Kannst du von zu Hause arbeiten und weiterhin dein Geld verdienen? Kannst du dir eine Kinderbetreuung leisten? Kannst du dir große Einkäufe leisten? Kannst du deine Arbeit ruhen lassen? Was ist mit all den Menschen, die schlecht bezahlte Pflegearbeit leisten - Krankenpfleger_innen, Erzieher_innen, Heilerzieher_innen, Altenpfleger_innen oder für die Versorgung grade stehen - Kassierer_innen, Fahrer_innen des öffentlichen Nahverkehrs UND Kinder haben, Familienangehörige pflegen müssen, chronisch krank sind, schlecht informiert sind? Und ja, auch die Menschen, die Kunst und Kultur am Leben halten werden unter diesem ganzen Virusklimbim leiden. Leiden jetzt schon darunter. (Ok - Gespräch 3 = Selbstgespräch, für die textliche Schönheit lasse ich es so stehen.)
Gespräch 4 und 5: hier weiterlesen