Die neue Stringfigures-Kollumne: autumn atmen
Ich unterschätze den Herbst. Jedes Jahr, wenn der Sommer geht, sorge ich mich. Es wird Herbst, dunkel, nass, kalt, deprimierend, sad, Vitamin D - Mangel, zu viel Kleidung. Dann ist Herbst. Heute zum Beispiel. Ich atme und staune über diese wahnsinnig gute Herbstluft. Etwas erdig, Laubduft, trocken und feucht zugleich, kühl in der Lunge, tief im Körper. Wenn man dann nach Hause kommt, leuchten die Wangen von innen. Die kühle Haut und die warme Wohnungsluft berühren sich zart und es dampft ganz leicht aus den Poren. Im Park hatte ich die Kamera dabei. Ich porträtierte jemanden. Während ich die Porträts machte, entdeckte ich das Geäst um den Körper der Person und mein Blick mäanderte über die strammen, kleinen Äste, an denen lose, alte Blätter hängen.
Nach dem Termin kehre ich nochmal zurück in den Park. Ich war lange nicht mehr einfach fotografieren, mit einer Kamera und restlichen fünfzehn Bildern auf dem Film. Ich bückte mich um die Strukturen der vertrockneten Stauden zu beobachten, fand eine besonders weiße Birke, die mit ihren vielen Stämmen meinen ganzen Blick durch die Kamera einnehmen konnte. Die Korkenzieherhaselnuss drückt ihre wahnsinnig schönen Äste durch die verkümmerten Blätter. Die Blätter des Japanischen Ahorn rollen sich zu welken Kugeln zusammen und vereinzelt strahlt noch ein sehr helles, rotes Blatt.
Im Herbst können sich die Strukturen wieder präsentieren, sind nicht so verdeckt von der grünen Ausstattung. Der Saft ist verdunstet. Die Stämme, Wurzeln, Äste drücken sich durch die weichen Reste und stehen da, so stabil und verstrickt, wie man sich es nur wünschen kann. Die Welt ist dann plötzlich wieder sichtbar in ihren Schichten und ihrer Verflochtenheit. Ich mache fünfzehn Fotos. Ich genieße dieses fotografische Umherstreifen, das ich mir mal mühevoll beigebracht hatte und von dem ich jetzt oft das Gefühl hatte, dass die Ergebnisse nicht mehr nötig sind…
der Film wird entwickelt, ich schaue mir die Bilder an und frage mich, was ich mit diesen schönen Bildern soll. Sie sind milliardenfach in den Archiven, Handys, Festplatten gespeichert. Es ereilen mich stets depressive Gedanken über die Fotografie. Warum? Was sollen all die Bilder? Aber dann frage ich mich im weiteren Verlauf auch, was soll das alles? Und dann kann man sich wieder beruhigen. Oder sagen wir: man muss sich beruhigen. Das geht gut beim Fotografieren. Atmen autumn.
Text: Jenny Schäfer