3 Notizen zu: The Curfew Sirens, Matheus Rocha Pitta, Hamburger Kunstverein
1 "The Curfew Sirens" - nur noch wenige Tage läuft die Ausstellung von Matheus Rocha Pitta im wieder geöffneten Hamburger Kunstverein, dabei scheint gerade der Titel perfekt für diese Zeit der (gelockerten) Lockdowns und Zu- und Ausgangsbeschränkungen zu passen. Die "Curfew Siren" ist schließlich die Alarmsirene zur nächtlichen Ausgangssperre - wobei die Doppelbedeutung der Sirenen im griechisch-mythologischen Sinn ein schönes Wortspiel ergibt.
2 Die (nun tatsächlich mythologisch gedachten) Sirenen bei Rocha Pitta sind nun acht an Ketten von der Decke hängenden Skulpturen in Form von stark abstrahierten menschlichen Figuren, bestehend aus je einem aufgeklebten Gesicht und zwei Selfiesticks als Quasi-Extremitäten, mit Keramikhandys ausgestattet. "Say something", "See something", "Hear something" ist in ihre Displays eingekerbt - während sie sich Augen, Ohren und Mund doch mit Tonhänden versperren. Gelebte Widersprüche also: Angekettete Sirenen (war es nicht eigentlich Odysseus, der sich am Mast festbinden ließ?) mit Ausgangssperre, stumm aber mit Smartphone-Anschluss - als das wichtigste Kommunikationstool in Krisenzeiten, zur effektiven Vernetzung im Hausarrest.
3 So funktioniert also Kommunikation im 21. Jahrhundert: Alles wird fotografiert und kommentiert, aber nichts scheint uns dabei zu verbinden, gleichzeitig wird das Smartphone mehr und mehr zum Agenten der (gegenseitigen) Überwachung. See something! Say Something! rufen die Sirenen schließlich - was verdächtig an das Lieblingsmotto der US Homeland Security erinnert: "“If you see something, say something” has become the unofficial slogan of post-9/11 America", schreibt die Washington Post etwa 2016 in einem Text, der die Sinnhaftigkeit einer solchen Blockwart-Gesellschaft hinterfragt. Es ist ein schon vielfach durchgespieltes Thema, das Rocha Pitta bearbeitet, aber tatsächlich funktioniert sein Bild erstaunlich gut - vor allem lässt die simple Installation genug offen, um interessant zu bleiben, bringt sie die Widersprüche auf den Punkt, wenn Wegsehen genauso fatal scheint wie ständiges Kommentieren, wenn wir uns selbst gegenseitig zur Sirene werden. Odysseus hatte da noch leichter. Der hatte schließlich kein Smartphone.