Die Bildersammlerin
Wenn Eva-Maria Bauer über die Bühnenbilder spricht, die sie schon realisiert hat, dann wirkt es, als seien es alte Freunde, denen sie immer wieder gern begegnet, die irgendwann durch einen glücklichen Zufall in ihr Leben gekommen sind. Die zerbeulte Mercedes S-Klasse, die 2014 im Bühnenbild von Der Untergang der Nibelungen – The Beauty of Revenge am Maxim-Gorki-Theater mit dem ersten postmigrantischen Ensemble die Auto-Nation Deutschland unter dem Aspekt der damals erstmals beginnenden Flüchtlingskrise verkörperte, begegnete ihr zuvor auf den Straßen von New York im Anblick einer Stretch-Limousine mit Totalschaden und wirkte dort wie ein Kommentar auf den damaligen Zustand des Landes. Zehn Jahre später wird sie das gleiche Bild erneut verwenden. Im Bühnenbild zu dem Stück Die letzten Männer des Westens, das im März 2024 im Schauspiel Köln auf die Bühne kommen wird, darf das Auto heil und eine Stretch-Limousine bleiben. In seiner riesigen phallischen Form steht es sinnbildlich für den Antifeminismus, der in dem Stück thematisiert wird. Das Bild des kaputten Riesenautos ist nur ein kleiner Teil eines Archivs, mit dem Eva-Maria Bauer schon lange arbeitet. Etwa 85.000 Bilder umfasst ihr Recherchekatalog inzwischen, erzählt sie. Bilder, von denen sie sich immer wieder inspirieren lasse. Man könne jedes Stück oder jeden Inhalt auf einige wenige Konflikte der Menschheit herunterbrechen und die Bilder dann dementsprechend anwenden. Gerade für Bühnenbild-Studierende könne das ein sehr nützliches Tool sein, die Inhalte der unterschiedlichen Stücke zu beschreiben. Bühnenbild sei ja ein angewandtes Fach, was man während des Studiums oft nicht so wahrnehme, weil man sehr frei arbeitet: „Erst später trifft einen die Realität, dass man Aufträge bekommt und scheinbar Aufgaben erfüllen muss.“ Eva-Maria Bauer plant für ihre Lehrtätigkeit an der HFBK Hamburg unter anderem, mit den Studierenden gemeinsam einen Katalog, ähnlich wie ihren eigenen, anzulegen. „Ich finde es spannend, eine Sammlung anzufangen, zum Beispiel zu den Themen Reichtum, Krieg oder Sicherheit- und dann einfach über die Jahre hinweg Bildmaterial Texte und Stücke zu sammeln und zu besprechen. Erstmal werden wir analog anfangen und dann alles, was kommt digitalisieren, weswegen wir zunächst klassenintern arbeiten. „Drama der Wirklichkeit“ nenne ich es in Anlehnung an Maxim Gorkis Märchen der Wirklichkeit – was und wo ist die Wirklichkeit und was ist sie im Theater? Die Kopie der Wirklichkeit ist ein Thema, das mich am Theater immer wieder beschäftigt – bis hin zu der Kopie eines Menschen in Form eines humanoiden Roboters, der anstelle von Schauspieler*innen den Theaterabend spielt (Uncanny Valley, Münchner Kammerspiele, 2018).“ Man merkt, dass sich Eva-Maria Bauer auf den Austausch und das gemeinsame Sammeln mit den Studierenden freut. Sie ist auch gespannt auf neue Ideen und Impulse seitens der Studierenden, wie man das Material noch besser handhaben kann, wenn es einen gewissen Umfang erreicht hat. Was ihr besonders wichtig ist: Die Studierenden sollen später nicht das Gefühl haben ein Stück oder einen Auftrag bedienen zu müssen. Der Katalog soll ein Hilfsmittel für sie sein, um künstlerisch frei und gleichzeitig angewandt zu arbeiten, so wie sie selbst es tut.
Eva-Maria Bauer wurde 1980 in Kempten im Allgäu geboren, sie lebt und arbeitet in München und Hamburg. Sie begann ihre eigene künstlerische Laufbahn 2002 in London, wo sie am Wimbledon College of Art ihren Bachelor in Design for Performance machte. Von 2006 bis 2010 studierte sie dann freie Kunst und Medienkunst an der Akademie der Bildenden Künste München. Als freie Bühnenbildnerin und Szenographin ist sie seit 2007 tätig. „Ich habe schon immer versucht die Bühnenbilder so zu machen, dass sie auch ohne Performer*innen funktionieren können. Das war mein erster Anspruch, dass das Bühnenbild ein Mitspieler oder Kommentator sein soll, oder dass es für sich alleine als Installation stehen kann.“ Natürlich ließe sich das nicht immer einlösen und es sei auch gar nicht ihr Ziel, dass es wirklich ganz für sich alleine stehe, dennoch wolle sie Bilder kreieren, die auch unabhängig von einer Szene funktionierten.
Das beschreibt genau das Spannungsfeld in dem sich ihre Bühnenbilder auch für die Betrachter*innen bewegen. Sie sind da und gleichzeitig irgendwo anders, sie sind eigenständige Installationen und doch ein Teil der Geschichte, oder, wie sie selbst es nennt, „eine zusätzliche Koordinate“ für das Verständnis des Stückes. Ihre Bühnenbilder erzählen etwas über den Inhalt des Stückes hinaus. Der Zuschauer ist eingeladen die unterschiedlichen Metaphern ihrer Bühnenbilder während dem Gucken zu entschlüsseln. 2012 inszenierte der Regisseur Sebastian Nübling, mit dem Eva-Maria Bauer oft zusammenarbeitet, Tennessee Williams Stück Orpheus steigt herab an den Münchner Kammerspielen, das 2013 zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurde. Ihr Bühnenbild bestand aus einem Kettenkarussell, das anstatt auf dem Boden, umgedreht an der Decke angebracht wurde und das sich tatsächlich teilweise bis über die ersten Reihen des Zuschauerraums drehte. Auf den ersten Blick gab es keinen direkten Zusammenhang mit dem Stück, das eigentlich in einem Gemischtwarenladen spielt. Doch die schweren Eisenketten und die rasante Drehung des Karussells nehmen die Bewegung des Stücks metaphorisch auf und spiegeln den Inhalt wider: die Befreiung aus einer toxischen Gesellschaft.
Ein Laubbaum wächst in Iwan Wyrypajews Delhi, ein Tanz im Düsseldorfer Schauspielhaus im Jahr 2012 in der Inszenierung von Felix Rothenhäusler von oben nach unten. Er verbindet Erde und Himmel und dreht beides für die Betrachter*innen um. Statt der Unendlichkeit des offenen Himmels wächst das Leben auf den harten Boden der Realität zu. Die riesige Discokugel in Ferenc Molnárs Liliom, an den Münchner Kammerspielen 2014 von Stephan Kimmig inszeniert, wirft erst das Licht in vielen Facetten in den Zuschauerraum und rollt später wie der Fels des Sisyphos über die Bühne. Und der geschnitzte Theatervorhang mit einem kreisrunden Loch in der Mitte, der 2018 in Miloš Lolićs Inszenierung von Elfriede Jelineks Anti-Trump-Stück Am Königsweg auf der Bühne des Schauspiel Frankfurts auftaucht, verheißt nicht etwa Zauber und ein glanzvolles Versprechen auf das Dahinter, sondern nichts weiter als Rauch und Leere. Plakativ und schrill könnte man ihn als die durch und durch hohle, personifizierte Selbstinszenierung deuten. Jedes dieser Werke fügt dem Stück, an dem sie teilhaben, etwas hinzu und dennoch bleiben sie für sich. Wie die Darsteller*innen auf der Bühne haben sie ihren Auftritt und können, wenn es sich ergibt, auch wieder unabhängig für etwas anderes, ganz eigenständiges stehen.
Was sie inspiriert, kann Eva-Maria Bauer nicht genau festlegen. Oft seien es Bilder aus der Popkultur und immer wieder inspiriere sie auch das Spielzeug ihrer Kinder und dann seien es meistens ganz alltägliche Dinge, die ihr plötzlich begegnen, die sie sammelt. Vorgestern habe sie in Köln zum Beispiel zwei ältere Menschen fotografiert, die gemeinsam in rasantem Tempo auf einem Elektro Rollstuhl herumfuhren, einen Baseball-Schläger, der auf einem Autositz angeschnallt war oder es findet sich ein gefundener Amazon Werbe-Slogan schließlich auf dem LKW des Maria-Bühnenbildes 2019 am Thalia Theater Hamburg wieder.
Die Frage, ob ihre eigenen Bühnenbilder für sie selbst am Anfang des künstlerischen Prozesses ein Rätsel seien, bejaht Eva-Maria Bauer und betont noch einmal, warum es gerade in diesem Zusammenhang für sie wichtig sei, dass das Fach Bühnenbild ein angewandtes ist: „Am Anfang ist da ein Bild und vielleicht auch eine Idee, warum es da ist. Doch manchmal führen Regie oder die Spieler*innen, das Bild dann nochmal weiter in eine Richtung, die ich so gar nicht gesehen habe. Ein Bühnenbild braucht Darsteller*innen, Regisseur*innen, Musik und Licht.“
Katharina Manzke ist freie Autorin und Theaterkritikerin und lebt in Hamburg.
Der Text erschien erstmals im Lerchenfeld Nr. 68.