Die neue Kolumne von stringfigures: Lawinen
Fassungslos sitze ich vor der Tagesschau. Ein weiterer Schwarzer wurde, diesmal in den USA von einem weißen Polizisten ermordet: George Floyd. Er presste sein Knie in den Nacken Floyds. Zwei weitere Männer knieten auf seinem Körper. Ein vierter Polizist stand daneben und schaute zu.
Immediately rollt eine Lawine durch die Medien, durch die social media-Kanäle, über Rassismus, Polizeigewalt, Amerika, everywhere; nebenbei lebe ich meinen Coronaalltag mit Kind. Ich bin aufgeregt, scrolle mich durch die Meldungen, Videos, Statements und weiß: Rassismus ist so unfassbar präsent, überall auf der Welt. Auch hier, in meinem Leben. Ich versuche meinem vierjährigen Sohn zu erklären, warum ich jetzt Nachrichten hören will, warum ich jetzt so traurig, so sauer bin. Versuche ihm zu erklären, was passiert ist, er versteht vielleicht, dass Polizist:innen anderen Menschen Gewalt antun und warum Schwarze eine andere Geschichte haben, als wir Weiße. Ich benutze Begriffe, die sich komisch anfühlen im Gespräch mit einem Kind. Ein ähnliches Gespräch hatten wir schon vor einigen Wochen, als er plötzlich „Indianer“ sein wollte. Ich versuchte das bisher zu vermeiden. Ich bin nicht gerade locker und entspannt im Umgang mit Rassismus und Kindererziehung, denn wenn ich mit Freund:innen und Bekannten spreche, höre ich oft, was ich nicht hören will. Manche sagen, ich solle ihn spielen lassen. Ich denke dann, ja ok. Stimmt vielleicht, vielleicht sollte ich mich nicht so anstellen. Er ist ja noch so klein. Und in mir drin fühlte ich eine Unruhe und dachte: Nein, ich muss weiter fragen und nachdenken. Die Leute, die ich gefragt habe sind weder BPoC noch Indigene. Ich schreibe Mails an verschiedene Native Americans, die in Deutschland leben und sich irgendwie in Zeitungen o.ä. geäußert haben. Ich lese Zeitungsartikel, Interviews, sehe schreckliche Kostüme und bekomme endlich, nach einigen Wochen, eine Antwort eines Filmemachers, der in Berlin wohnt.
„As a parent myself, I understand it can be challenging creating discussions younger children can understand, about some topics. Generally, in discussion with those with German as a mother tongue and who are aware of the issues with descriptions of others, indigen/e, eingeboren, indigene Völker, ursprüngliche are better. Ureinwohner can be problematic also. It is really best to use the name of the Native nation or person whenever possible. For example, Apache/Ndee or Crow/Appsalooka, as this teaches that it is always better to call someone what they call themselves, not what another culture or people give them.
One of the best and simplest ways to say of this to children, is to ask them their name. Ask them their nationality or gender (or lack of “traditional” genderization). The point is to make a focus on how they personally identify. Then call them another name, one you say you think is better. Ask them if it would be okay to call them another name, and ignore what they say they want to be called.
This is often easily understood and makes it personal to them. They can reason how it makes them feel. Not very good, maybe frustrated or even angry if it happens all the time. Then you can (age appropriate) make it a larger view. Ask them to imagine if it happens not just with their name, but someone else makes them change their clothing they like, to something they do not like. Something that does not represent their favorite color or something similar. Ask them, what if not just one person does this to them, but many people, many even their whole classroom ignores their wishes.
If the conversation continues, or maybe at another time, after they have thought about it, the next reasoning point is to add: what if these ones who are calling you a wrong name, telling or creating wrong information about you… tell you to be quiet when you complain? What if they tell you that it should not bother you, that you should actually be proud for the attention.
This is exactly what is done to Native people all the time. Lessons like this can be very simple, and are designed to teach empathy. When these lessons are taught in early childhood, there is a far better chance it remains throughout their lives.“ schreibt mir Red Haircrow, der auch den Film „Forget Winnetou“ gemacht hat.
Auf keinen Fall wollte mein Sohn, dass ich über ihn behaupte, er hieße August Wilhelm und seine Lieblingsfarbe sei grau und er würde eh nicht gern spielen. Das macht nicht alles einfacher, aber ich habe es nicht umkommentiert gelassen. Gerne würde ich meinem Kind immer die Sicherheit geben, dass ich Dinge weiß und dass die Welt klar erklärbar ist, doch ich bin selbst so im Unreinen mit „Wissen“ und „Klarheit“, dass ich ihm eigentlich nur sehr klar sagen kann, dass die Lage immer recht unklar und kompliziert ist.
Diffus kann ich auch die Konturen meiner inneren Rassismen lesen und erkennen. Es tut oft weh, sich einzugestehen, wie oft in man in seiner Vergangenheit rassistisch gehandelt oder gedacht hat und teilweise auch noch impulsive rassistische Gedankenblitze hat. Ich bin jedoch froh, dass ich es nun benennen kann und darf, dass ich daran arbeiten kann und muss und dass ich damit auch viel besser argumentieren kann, wenn es auf dem Spielplatz heißt, es sei doch nicht schlimm, wenn Kinder sich als Indianer verkleiden würden und dass Rassismus in Deutschland ja zum Glück nicht so verbreitet sei wie in den USA. Ich habe in meinem Kunst- und Kindumfeld in Hamburg wenig BPoCs im Vergleich zu meinem Umfeld in der Kita in der ich jobbe. Und wenn ich mit meiner afghanischen, kurdischen oder iranischen Kollegin spreche, dann wird mir immer wieder sehr deutlich vor Augen geführt, dass Rassismus im Alltag absolut keine Seltenheit ist. Und da geht es NICHT nur um Neonazis, sondern um Menschen, die sich nicht als Rassisten bezeichnen lassen wollen. WER will das schon. Es macht keinen Spaß, sich Fehler einzugestehen, am eigenen Ego kratzen zu müssen, doch nur so geht es weiter, so kann Rassismus nicht stagnieren.
Ich muss oft an meine Kindheit denken und wie ich im Spannungsfeld zwischen omnipräsentem Alltagsrassismus meiner Familie (die immer die SPD gewählt hat, weil die sich als einzige Partei mit DGS-Dolmetscher beim Wahlkampf blicken ließen.) und meinen Freund:innen, unter denen sehr viele Schwarze, Türkinnen, Polinnen, Leute aus Bosnien und Russland waren, aufgewachsen bin. Ich habe das nicht hinterfragt, habe mich vielleicht unterbewusst wohler gefühlt, weil deren Eltern auch oft, wie meine, kein gutes Deutsch sprachen, Verständnisschwierigkeiten hatten und weil sie meinen Eltern mit einer Lockerheit begegneten, die ich von deutschen Familien fast nicht kannte.
Und trotzdem. Ich erinnere mich an ein Fangenspielen in der zweiten Klasse auf dem Schulhof. Alysha sollte gefangen werden, ein Junge fragte: „Wer ist Alysha?“ Ich antwortete die da drüben, mit der braunen Haut. Ich weiß es noch, als wäre es gestern gewesen. Alysha fing sofort an zu weinen. Ich verstand nicht warum und war betroffen. Warum war meine Freundin so traurig? Was habe ich falsch gemacht? Ich kann mich nicht erinnern, was dann passiert ist, aber dass ich sie verletzt hatte, weil ich fand, dass ihr primäres Erkennungsmerkmal die braune Haut ist und nicht ihr Glückbärchiskleid oder ihr Haarreif konnte ich nicht vergessen, … aber auch nicht einordnen. Wenn ich mir jetzt vorstelle, jemand hätte gerufen, Jenny ist die mit dem tauben Ohr und den Eltern die nichts hören können, … vielleicht hätte ich es schneller verstanden. Diskriminierungserfahrungen kenne ich zu genüge und wenngleich ich sie nicht mit Rassismus gleichsetzen kann und darf, hilft es mir manchmal zu verstehen, was ich noch nicht bereit war anzunehmen.
Dass ich Rassismus jetzt einordnen kann, weil ich weiß, Rassismus steckt in uns allen, dass ich verstanden habe, dass ich weiß und dadurch privilegiert bin, dass ich Verantwortung übernehmen kann, weil ich weiß, ich kann Rassismus nicht nur auf Neonazis schieben, dass ich Worte finden kann, weil ich von Rassismus betroffenen Leuten zuhören kann und sie fragen darf, dass ich widersprechen kann, wenn jemand rassistische Äußerungen klein reden oder verharmlosen möchte, weil ich Argumente habe, macht mich zuversichtlich.
Wenn die Kunstszene in Deutschland sich nun trauen würde praktisch diverser zu werden, nicht nur in der Theorie, sich selbst beim Schlafittchen zu packen, wenn sie sich eingesteht, dass struktureller Rassismus erkannt und bekämpft werden muss, wenn sie Worte findet, wenn sie Taten sprechen lässt, wenn sie ihre Macht erkennt und lernt, dass jede:r einzelne Mensch in der Lage ist, etwas zu tun, zuzuhören,
…
would be nice. Ist unsere verdammte Pflicht.
https://www.zeit.de/gesellschaft/2020-06/alice-hasters-rassismus-interviewpodcast-alles-gesagt