Promotionsvorhaben Julia Stolba
Arbeitstitel:
Affektive Archive der Kunst. Von den Verschiebungen der Zeit und der Übertragung von Wissen
Betreuung: Prof. Dr. Nora Sternfeld und Prof. Michaela Melián
In dieser Promotion sollen Praxen und Möglichkeiten von Affektiven Archiven als soziale Räume von Mikropolitiken der Erinnerung theoretisch und künstlerisch erforscht werden.
Affektive Archive sind Speicher, die stetig kollektive Erinnerung aktualisieren, Gegen-Narrative schaffen und Raum für Wissen öffnen, dessen Existenz wir noch nicht kennen. Dieses Wissen, das mit dem Archivbegriff Michel Foucaults als „Gesetz all dessen, was gesagt werden kann“[1], Teil des Archivs ist, wird als affektive Erinnerungsarbeit mittels künstlerischer Strategien archäologisch ausgegraben und sichtbar gemacht. Wie dies gelingen und was auf diese Weise im kollektiven Gedächtnis der Gegenwart und Zukunft verändert werden kann, soll theoretisch, analytisch und künstlerisch forschend nachvollzogen werden. Dafür möchte ich verstehen, welche Formen Affektivität und Affizierung in der künstlerischen Archivarbeit annehmen, wie in der Ausstellungsgestaltung, durch kuratorischen Entscheidungen, Atmosphären geschaffen werden, die Affizierung erzeugen können, ob und wenn ja, wie Affekte vermittelt werden können und wie somit die Gestaltung eines Affektiven Archivs aussehen kann.
Dem werde ich im theoretischen Teil der Arbeit anhand zweier Case-Studies von Orten auf den Grund gehen, deren Praxis ich als Arbeit Affektiver Archive verstehe: SAVVY Contemporary in Berlin und La Colonie in Paris. Dies sind Orte, die den Erinnerungsdiskurs künstlerisch-forschend, kollektiv wissend und experimentell suchend von der Theorie in die Praxis bringen und damit eine Aktualisierung und Verschiebung des bestehenden Narrativs des kollektiven Gedächtnisses erzeugen. Ich möchte das Material dieser Affektiven Archive in meiner Promotion aufarbeiten, die dort stattgefundenen Veranstaltungen und ihre Dokumentation auswerten und von ihnen lernen. Durch die Praxis der Affektiven Archive bilden postkoloniale, antirassistische, queer-feministische Theorien und Wissensproduktionen nicht nur einen alternativen Gegen-Kanon zu neoliberal-kolonialem Wissensverständnis des globalen Westens, sondern schreiben sich in dieses ein, überschreiben es, decken seine Widersprüche auf und eröffnen Perspektiven, wie einander ablösende Diskurse stattdessen zusammenhängen und miteinander gedacht werden können.
Aus dieser Betrachtung affektiv-archivalischer, künstlerischer Erinnerungsarbeit möchte ich im praktischen Teil der Promotion herausarbeiten, wie eine mikropolitische, affektive Archivpraxis aussehen und umgesetzt werden könnte. Ich frage mich dabei, wie Brücken durch die Zeit mittels Affektiver Archive entstehen können an Orten, deren Erinnerung zunehmend verhindert und überschrieben wird. In einem kollektiven Projekt soll eine künstlerische, kuratorische und vermittelnde Affektive Archivarbeit geschehen, die die Geschichte von Orten aktualisiert, an denen sie vergessen wird und die einen Raum erzeugt, in dem tatsächliche Verschiebungen und Veränderungen entstehen können.
[1] Michel Foucault: Das historische Apriori und das Archiv (1973), in: Knut Ebeling, Stephan Günzel: Archivologie. Theorien es Archivs in Philosophie, Medien und Künsten, Berlin 2009, S.110.
Vita:
Julia Stolba ist Künstlerin und Kunstwissenschaftlerin. Sie forscht in ihrer Promotion an der HFBK Hamburg zu Formen und Bedeutungen von Affekten in künstlerischer, kuratorischer und kunstvermittlerischer Archivarbeit bei Prof. Dr. Nora Sternfeld und Prof. Michaela Melián. Seit 2018 arbeitet sie im Team der documenta studien und war Studienassistentin der documenta Professur an der Kunsthochschule Kassel. Dort studierte sie Bildende Kunst in den Klassen von Pauline Curnier Jardin, Dierk Schmidt und Cecilia Vallejos & Matthijs de Bruijne, sowie Kunstwissenschaften (MA). In ihrer konzeptuellen, künstlerisch-forschenden Arbeit an der Schnittstelle von Theorie und Praxis beschäftigt sie sich medial mit Malerei-Installationen, Zeichnung und Sound. Sie arbeitet außerdem als freischaffende Illustratorin und als Kunstvermittlerin mit Workshops aus der künstlerischen Praxis.