Symposiumsbericht aus dem Lerchenfeld #49: Ideologische Kleptomanie
Eine internationale Ausstellungskooperation zum Werk des langjährigen HFBK-Professors KP Brehmer anlässlich seines 80. Geburtstags macht zurzeit Station in der Hamburger Kunsthalle. Begleitend dazu fand im Mai 2019 ein öffentliches Symposium statt
Die Ausstellung KP Brehmer Kunst (ungleich) Propaganda, eine Kooperation zwischen der Kunsthalle Nürnberg, der Hamburger Kunsthalle, dem Gemeentemuseum Den Haag und Arter Istanbul, ist nicht die erste Würdigung, die das Werk von KP Brehmer in jüngster Zeit erfahren hat: 2014-15 fand die erste umfassende Werkschau Brehmers in Großbritannien, KP Brehmer. Real Capital-Production bei Raven Row in London große Beachtung. Als KP Brehmer 1971 an die HFBK Hamburg kam, wo er bis zu seinem frühen Tod 1997 lehrte, hatte er eine Ausbildung als Reproduktionstechniker abgeschlossen und an der Werkkunstschule in Krefeld sowie der Kunstakademie Düsseldorf freie Grafik studiert. Er besaß somit das Rüstzeug für einen künstlerischen Umgang mit gesellschaftlichen und politischen Alltagsbildern, die er als „ideologische Kleptomanie“ bezeichnete: „Ich bin der Ansicht, dass der einzige Fortschritt der Kunst der ist, die ganze Intensität vom Ich auf das Wir zu verlegen. Sozusagen durch ideologische Kleptomanie müssen wir in die bürgerliche Kultur eingreifen, indem der Wert des persönlichen Eigentums, der der künstlerischen Schöpfung innewohnt, gemindert wird. Das ist durch die Verweigerung der ‚Schöpfung‘ durch das Zitat möglich.“, schrieb er in einem Typoskript. Die Frage, ob KP Brehmer wirklich bei diesem Vorsatz geblieben ist und ob sein Umgang mit Zitaten nicht doch ein schöpferischer war, wurde im Laufe des Symposiums in unterschiedlichen Zusammenhängen immer wieder aufgegriffen.
In seinem Abendvortrag zum Auftakt in der Aula der HFBK Hamburg fragte Kolja Reichert, Journalist und Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung nach dem Verhältnis von zeitgenössischen Künstler*innen zu KP Brehmer. Selbst einer viel jüngeren Generation angehörend, sei ihm das Werk KP Brehmers auf der Istanbul Biennale 2009 oder auf der Kunstmesse FRIEZE immer in Verbindung mit Positionen junger Künstler*innen begegnet. Brehmers Strategie der Sichtbarmachung, von ihm selbst „Sichtagitation“ genannt, ist verwandt mit den Zeichnungen von Mark Lombardi oder den Recherchen Trevor Paglens. Andrea Frasers Studie zum Verhältnis von Spenden und Mitgliedschaften in Museumsvorständen (Museums, Money and Politics, 2016) erinnert auch formal an die Grafiken KP Brehmers. Auch die Aktualisierung recherchebasierter Kunst bei Simon Denny, der inzwischen seinerseits als Professor an der HFBK Hamburg lehrt, kann im Zusammenhang mit KP Brehmers Werk gesehen werden: So betreibt Denny Mimikry mit den untersuchten Organisationen, indem er zum Beispiel die Ästhetik der NSA in Objekte übersetzte. Im Vergleich dazu seien KP Brehmers Arbeiten immer noch „kunsthaft“, so Kolja Reichert, bezugnehmend auf Kerstin Stakemeiers Bemerkung im Katalogbeitrag zur Londoner Ausstellung, das Werk KP Brehmers werde mit dem Altern eher dokumentarisch als kunsthaft . In einem ebenfalls im Londoner Katalog publizierten Interview, das KP Bremer 1974 seinem HFBK-Kollegen Georg Jappe gab, beharrt er darauf, dass sein Arbeitsbereich die Kunst sei. Seine Arbeiten seien so etwas wie Maße, die man gegen die Kunst und die Wirklichkeit halten kann, so Kolja Reichert. Sie seien Sichtverschärfer, Kalibrierungsinstrumente, die sich mit der Post-Internet-Art messen können.
Mit Überlegungen zur „Kunsthaftigkeit“ ging es am Sonntagmorgen in der Hamburger Kunsthalle weiter. Björn Egging, Konservator im Kupferstich-Kabinett der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, diskutierte die Arbeitsweise Brehmers zwischen den beiden Polen des Autonomie-Modells von Clement Greenberg und der Theorie der Avantgarde von Peter Bürger. Aus dem Publikum wurden Zweifel geäußert, ob Autonomie ein geeigneter Begriff sei. KP Brehmer habe bildautonom gedacht, das war in dieser Runde Konsens, er habe „Lust am Bild“ gehabt und nicht nur daran, die Welt zu verändern. Der Berliner Kunsthistoriker Michael Glasmeier stellte in seinem Vortrag eine überzeugende und erhellende Verbindung zwischen KP Brehmers und Aby Warburgs Briefmarken her, auch wenn diese keine unmittelbare sein kann, denn die neuzeitliche Warburg-Rezeption setzte erst Ende der 1970er Jahre ein. KP Brehmers Appropriation einer Hitler-Briefmarke, die er zum Tafelbild aufblies, der ersten Arbeit der Briefmarken-Werkgruppe, entsprach einer in der Pop Art gängigen Maßnahme. Sie löst sich aber auch von dieser, indem sie eine schuldhafte Vergangenheit aufruft. Als nationalstaatliche Symbole boten Briefmarken KP Brehmer eine Steilvorlage für die kritische Auseinandersetzung mit Geschichte und Gegenwart. Aby Warburg (1866-1929) betrachtete Briefmarken, die er zeitlebens leidenschaftlich sammelte, als eigenständige Kunstwerke und Felder politischer Ikonografie. In seinem Mnemosyne Atlas nehmen sie eine wesentliche Stellung in der kritischen Analyse von Bildformen über Kulturen und Zeiten hinweg ein. Glasmeier verglich Warburgs Methode mit KP Brehmers grafischen Techniken, dem Blow Up, aber auch der präzisen Komposition, in der Bilder, Zahlen, Schriften und Stempel als Readymades eingesetzt wurden. Beide machen einen Denkraum des Oppositionellen sichtbar.
Daniela Stöppel, Professorin am Institut für Kunstgeschichte der LMU München, näherte sich dem Werk KP Brehmers aus der Perspektive der Geschichte der Abstraktion und der Informationsgrafik und schlug damit zugleich eine Brücke zwischen KP Brehmer und zeitgenössischem, kritischem Grafikdesign. Bereits in den 1920er Jahren gab es Kritik an der der noch jungen Methode der Bildstatistik. Otto Neurath versuchte, mit der Wiener Methode eine weniger manipulative Alternative zu den bisherigen Verfahren zu schaffen. KP Brehmer, der als ausgebildeter Grafiker mit großer Wahrscheinlichkeit auch Otto Neurath kannte, benutzte allerdings ausschließlich verzerrende Formate der grafischen Darstellung. Es lassen sich verschiedene Typen der Visualisierung ausmachen: Kurven, die er gern durch Ausfüllen des Zwischenraums in flächige Gebilde verwandelte, heraldische Farbsysteme, Kartografien, Farbskalen oder Farbwechsel-Schemata, bei dem der gleiche Gegenstand in unterschiedlichen Farbwerten wiedergegeben wird. Es ist davon auszugehen, dass KP Brehmer sich bewusst dafür entschied, die manipulative Kraft bildgebender Verfahren offenzulegen, so Daniela Stöppel. Es wäre eine interessante Frage, wie sich KP Brehmer zur heutigen Omnipräsenz digitaler Infografik verhalten hätte. Petra Lange-Berndt, Professorin am Kunstgeschichtlichen Seminar der Universität Hamburg, wies in ihrem Vortrag unter anderem darauf hin, wie wichtig KP Brehmer die Utopie und die Kommunikation gewesen sei. In der zweiteiligen Arbeit Rosa Luxemburg von 1973 läuft beides zusammen. Damals waren die Ausstellungsbesucher*innen aufgefordert, auf der mit Tafelfarbe grundierten Hälfte Kommentare zu politischen motivierten Morden der jüngeren deutschen Geschichte Stellung zu nehmen. Die Kommentare von 1973 sind nun Teil des Werkes und nicht mehr veränderbar. Doch parallel zur Ausstellung wurde es wieder geöffnet. Auf Instagram unter @KP_Brehmer kann das Bild nun wieder kommentiert werden.
Julia Mummenhoff