Keine HFBK ist auch nicht nachhaltig
[Lerchenfeld] Das Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit in Kultur und Medien hat bereits mit verschiedenen kulturellen Akteuren zusammengearbeitet, der Kunsthochschulkontext ist jedoch Neuland. Wo siehst du, Jacob, das Spezifische?
[Jacob Sylvester Bilabel] Zweifelsohne funktioniert die HFBK Hamburg nicht wie eine Kinogruppe oder ein Verlag. Das Besondere in der Zusammenarbeit mit euch ist, dass ihr aus unserer Sicht drei Ebenen der Aktivität habt: Die erste Ebene ist euer eigener Betrieb – Kühlung, Lüftung, Heizung, Mobilität. Da unterscheidet ihr euch nicht von anderen Institutionen. Aber dann wird es schon besonders: Eure zweite Ebene sind die Menschen, die bei euch studieren und lehren, die ja unmittelbar mitbekommen, welche Fragestellungen die HFBK umtreiben und die diese dann idealerweise in ihrer künstlerischen Tätigkeit transformieren und nach außen tragen, eben eine Übersetzung des Themas Nachhaltigkeit leisten. Und die dritte Ebene ist natürlich die der Bildungsinstitution, die zu einer ganz eigenen Positionierung im Kontext der Nachhaltigkeit finden und diese platzieren kann. Unser Ziel ist es demnach nicht nur, eure Umweltwirkung zu minimieren, sondern zugleich die positive Strahlkraft, die ihr als Bildungsinstitution haben könnt, zu maximieren.
[LF] Von Haus aus Architekt lehrst du, Friedrich, seit 2009 als Designtheoretiker an der Kunsthochschule und hast dich viel mit nachhaltigeren Designpraxen befasst. Du, Jacob, leitest das Netzwerk Nachhaltigkeit in Kultur und Medien, gefördert durch die Beauftragte für Kultur und Medien der Bundesregierung: Welchen Begriff von Nachhaltigkeit verfolgt ihr?
[JSB] Der Begriff ‚Nachhaltigkeit‘ erlebt gerade seinen dritten Frühling – eine Entwicklung, die, von außen betrachtet, erstmal gut ist. Alle wollen jetzt schon immer Nachhaltigkeit gemacht haben. Aber wenn man dann explizit fragt, was meint ihr mit dem Begriff ‚Nachhaltigkeit‘, merkt man, dass es sehr schwammig wird. Bei der Herleitung der Begrifflichkeit in Gesprächsrunden flüchtet sich der Moderator oder die Moderatorin gerne zur historischen Forstwirtschaft des 18. Jahrhunderts, in der Nachhaltigkeit bedeutete: Wir nehmen hier nur so viel aus dem Wald heraus, wie gerade wieder nachwächst. Ich halte diesen Fokus allerdings für zu eng und bevorzuge es, Nachhaltigkeit als einen Prozess zu definieren, der es uns als Gesellschaft ermöglicht, Zukunftsfähigkeit zu erwerben, also die Fähigkeit, zukünftig auf Entwicklungen gesamtgesellschaftlich reagieren zu können.
[FvB] Das war jetzt eine Steilvorlage für mich. Du hast ausgeführt, dass bei der Begriffsherleitung oft auf die Forstwirtschaft verwiesen wird, was nicht ganz richtig ist. Denn Hans Carl von Carlowitz, der Erfinder des Neologismus, war eben nicht Forstwirt, sondern sächsischer Bergbauhauptmann …
[JSB] Stimmt. Noch schlimmer.
[FvB] …, der nur deshalb den Wald erhalten wollte, weil er ohne Holznachschub kein Silber mehr aus dem Erz schmelzen konnte. Und ist das nicht allermeist auch der Kern unseres heutigen Nachhaltigkeitsdiskurses: Wie erhalten wir unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit? Wenn du nun sagst, es gälte, die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft zu bewahren, was meint das? Die Zukunftsfähigkeit des bestehenden ökonomischen Systems, mithin die fortgesetzte Ausbeutung ökologischer und sozialer Ressourcen, oder ist es etwas anderes?
[JSB] Unser Wunsch als Aktionsnetzwerk lautet zunächst einmal, den kulturellen Sektor für die Zukunft zu befähigen, sodass er auf das reagieren kann, was da kommt. Für Zukunftsfähigkeit in diesem Sinne braucht es einerseits Mitigation, was die Vermeidung von Umweltwirkung meint, und andererseits Adaption, also die Anpassung an Klimafolgen. Beides ist jetzt wichtig: verhindern, was noch geht, und bewusst machen, was unausweichlich passieren wird.
[FvB] Da gebe ich dir recht. Aber neben dem, was in der Kultur mit Adaption und Mitigation passieren muss, bedarf es aus meiner Sicht noch einer weiteren wesentlichen Ebene: Was hat die Kunst und Kultur zu der Fragestellung beizutragen, was eine zukunftsfähige Gesellschaft abseits des Status quo ist? Wie sieht diese aus? Für mich als Architekt und Theoretiker mit Gestaltungsanspruch ein absolut spannender Punkt.
[LF] Die Position der Kunsthochschule zu einem solchermaßen weit gefassten Komplex Nachhaltigkeit zu finden, ist sicher keine einfache Aufgabe.
[FvB] Im Moment ist das Claim, unter dem vieles läuft, eben Nachhaltigkeit. Das ist manchmal so gut wie nichts und manchmal sehr viel. Ehrlicherweise ist es ja auch bei uns an der Hochschule noch offen, wie die Selbstpositionierung ausfallen wird in diesem weiten Feld zwischen „wir tun das, was gesetzlich erforderlich ist oder erforderlich werden wird“, also Mitigation und Adaption nach Vorschrift, und „wir gehen von vornherein weiter und tatsächlich auch in die Inhalte“. Die Städelschule – man kann davon halten, was man will – hat hochschulpolitisch entschieden, sie berufen ab jetzt nur noch Personen mit einem Nachhaltigkeitsoder Ökologieschwerpunkt. Schauen wir mal, ob wir an der HFBK bei der Heizung den Höhepunkt unserer Ambitionen finden oder ob uns der offene Prozess weiterführt, über einen puritanischen Nachhaltigkeitsimperativ hinaus.
[LF] Vor dem Hintergrund des Hamburger Masterplans Bildung für nachhaltige Entwicklung hat sich die Hochschule in der mit der Wissenschaftsbehörde verabredeten Agenda darauf verpflichtet, Nachhaltigkeit als strategisches Handlungsfeld zu entwickeln. Wie betrachtet ihr euren Ansatz im Zusammenhang mit der wissenschaftspolitischen Maßgabe für die HFBK Hamburg, also dass die Kunsthochschule in Sachen Nachhaltigkeit weniger als Kultur-, denn als Bildungsinstitution angesprochen wird?
[JSB] Bildung, da wird schnell dieser riesige Popanz vor sich hergetragen …
[FvB] Für mich klingt das auch, na ja, wabbelig. Wie die Agenda-Ziele der Vereinten Nationen. Alles drin, was man sich vorstellen kann – von Fischereirecht über Gleichberechtigung und gute Luft bis Zugang zu Bildung. Das ist Politik heute: auf der einen Seite unheimlich engagierte Leute, die viel erreichen wollen; auf der anderen Seite dieser Alle-müssen-mitgenommen-werden-Anspruch. Das führt zu einer deprimierenden Verwässerung und gleichzeitig lastet ein beinahe hysterischer Weltverbesserungsambitionsdoktrinarismus auf allem. Am Ende sehen wir uns dann der Forderung gegenüber, dass jedes Bachelor-Modul ein Nachhaltigkeitselement enthalten muss …
[JSB] und es einer Professur für planetare Grenzen an der Kunsthochschule bedarf.
[FvB] Nicht zu vergessen die Kurse über recyclefähige Farbe und über wiederverwertbare Kunst. Ich erkenne da eine starke Unausgewogenheit zwischen einem fast schon kleingeistigen Autoritarismus bis ins Detail, gerade im Bildungsbereich, und gleichzeitig einer enervierenden Beliebigkeit, um alle irgendwie mitzunehmen und an der Prämisse wirtschaftliches Wachstum weiter festhalten zu können.
[JSB] Hinter dieser Wabbeligkeit, die ich auch sehe, steckt aber keine böse Absicht, sondern sie rührt eher aus einer Verzweiflung ob der Unlösbarkeit der Aufgabe, nämlich so bald als möglich Klimaneutralität zu erlangen. Deshalb haben wir permanent so einen Des-Kaisers-neue-Kleider-Moment: Hamburg klimaneutral, Berlin klimaneutral, Thyssenkrupp und RWE klimaneutral. In diesem Wettbewerb der guten Absichten verkündet jede und jeder das Blaue vom Himmel bei gleichzeitiger Vermeidung des Realitätsabgleichs. Anders formuliert: Es gibt ein ausgeprägtes Problembewusstsein, aber ganz wenig Handlungswissen. Hier kommt für mich das Lernen ins Spiel und damit der Bildungsaspekt. Positiv gedreht, darf man nachhaltiges Handeln als eine Fertigkeit verstehen, die man lernen kann, ja erlernen muss und je situativ anwendet. Daraus entwickelt man dann die individuelle Haltung. Das Problem dabei ist eben, und da bin ich ganz bei dir, Friedrich, dass Bildungskonzepte am liebsten alle gleichmachen, insofern alle dasselbe lernen und anhand derselben Kriterien und Kennzahlen gemessen werden sollen. Das funktioniert aber nicht nur nicht in der Bildung, sondern auch nicht in Bezug auf Nachhaltigkeit.
[LF] Mithin hat es ja etwas Entspannendes, dass die HFBK nach dem Workshop als ersten Schritt beschlossen hat, eine Ökosystembilanz vorzunehmen, statt sich überstürzt mit der Frage zu verrennen, was Nachhaltigkeit denn jetzt eigentlich für unsere Lehre und für unser Kursangebot bedeutet.
[FvB] Ja, wir schauen zunächst, wo wir stehen, um dann festzulegen, wo wir uns verbessern können. Danach erst würden wir diese nächsten Felder bearbeiten.
[JSB] Ihr macht das systematisch, indem ihr euch ein Wissen über euren Status verschafft. Mein Versprechen ist, dass das ein eher befreiender Moment sein wird, wenn die Zahlen auf dem Tisch liegen. Davor hat man ja entweder so eine übernaive Vorstellung: „Wir sind nicht Teil der bösen CO2 -Welt und müssen uns gar keine Gedanken machen“ oder: „Oh Gott, wir müssen die HFBK abschaffen!“, was auch idiotisch ist.
[LF] Daher auch der Titel „Keine HFBK ist auch nicht nachhaltig“ für den Auftakt-Workshop bei uns?
[JSB] Der fußt auf den Reaktionen, die wir bei anderen Workshops bekommen haben, wo zuallererst so ein Schuldkoffer auf den Tisch gestellt wurde. Intrinsisch motivierte Menschen, die feststellen, dass sie trotzdem mit dem Flugzeug angereist sind, ihr Haus noch mit Öl heizen oder immer noch Fleisch konsumieren. Diese gefühlte Schuld – auch das ist eine Beobachtung von mir – überträgt sich dann in so eine Absolutionsfrage: Dürfen wir in Zukunft überhaupt noch so weitermachen? Und wie können wir jetzt unsere Schuld abarbeiten?
[FvB] Für mich ist der Slogan „Keine HFBK ist auch nicht nachhaltig“ erstmal ein optimistischer Ausspruch, von dem ich glaube, dass wir ihn als Hochschule erfüllen (werden). Nehmen wir nur einmal zum Vergleich an, wir müssten eine BWL-Hochschule evaluieren, dann wäre im Kontext von Nachhaltigkeit interessant, wie viele der BWL-Studierenden später in konsumorientiert-produzierenden Industrien oder bei irgendwelchen Mergers & Acquisitions arbeiten und wie viele sich in NGOs engagieren und sich auf die Suche nach Alternativen und Post-Wachstumstheorien begeben. Und was ist demgegenüber der produktive ‚Output‘ einer Kunsthochschule? Meine Einschätzung ist, dass unsere Graduierten etwas tun, was auf dem Weg in Richtung einer nachhaltigen Gesellschaft sinnvoll ist: beispielsweise Modelle für andere Lebensstile, Ausrüstungsgegenstände und Ideen für ein Miteinander mit sehr geringem Fußabdruck entwickeln. Das, was die HFBK als Kernprodukt hervorbringt, nämlich Künstler*innen oder Menschen, die Kunst studiert haben, ist meines Erachtens bereits der relevante nachhaltige ‚Impact‘, auf den wir uns als Bildungseinrichtung verpflichtet haben.
[JSB] Ich halte es für eine legitime Abwägung, wenn ihr sagt, dass die bei euch ausgebildeten Künstler*innen perspektivisch etwas tun, was einer überlebensfähigen Gesellschaft dient und was vielleicht sogar glücklichere Menschen produziert und das sei nachhaltig genug. Aus der Forschung weiß man, dass glückliche Menschen weniger Umweltwirkung erzeugen, weil sie weniger Zeug kaufen et cetera. Und auch wenn es dazu noch kein Rechenmodell gibt, sollte man dennoch diese Rechnung aufmachen.
[LF] Apropos Berechnung: Im Kunst- und Kulturkontext gibt es sicherlich zahlreiche Akteure, bei deren Arbeit die klassischen Nachhaltigkeitsvektoren wie etwa Effizienz, Suffizienz, Konsistenz eine marginale Rolle spielen. Welche Vektoren sind es stattdessen, die ihr bei eurer Betrachtung der einzelnen Institution einbezieht?
[JSB] Richtig, die klassischen Vektoren der Nachhaltigkeit orientieren sich prinzipiell an Marktlogiken. Effizienz ist in der Kunst schwer einzuklagen. Suffizienz heißt, man braucht weniger Ressourcen, ist auch schwierig. Konsistenz würde noch gehen, also die Logik bestimmter Stoffkreisläufe mitzudenken. Wir agieren in der Nachhaltigkeit immer mit der Ressourcenlogik. Und die Kunst, völlig richtig, entzieht sich dem auf eine Art und macht sich zugleich zu einem viel perfideren Akteur, indem sie sich in der Ökonomie der Aufmerksamkeit bewegt, wozu die Generierung von Sichtbarkeit und Nachfrage gehört. Resilienz ist der Vektor, der am nachvollziehbarsten für den Kunst- und Kulturbereich passen sollte. Aber, sobald man versucht, diese vier anzusetzen, kommt zumeist die Aussage „alles richtig und wichtig, aber bitte nicht in unsere Kunstfreiheit reinpfuschen!“ Aus meiner Sicht ist dieses Behaupten der Kunstfreiheit an dem Punkt eine Simulation.
[LF] Der HFBK liegt das Effizienzdenken nicht eben nahe, denn künstlerische Produktion braucht das Ausprobieren, das Experimentieren mit Material und die Freiheit zum Scheitern wie auch zum wiederholten Anlauf, mit der Lizenz zur Verausgabung und Entgrenzung als wesentliche Elemente künstlerischer Freiheit. Da zählen die krummen Wege, das Hinterfragen von Gegebenem und …
[FvB] Andersartigkeit. Vielleicht könnte ja Alterität ein Vektor sein, verstanden als das Aufzeigen anderer Möglichkeiten, weil die Welt eben auch ganz anders sein kann. Anderes Wissen, andere Lebensformen, andere Ästhetiken und so weiter als Lernmöglichkeiten, was auch eine andere Sinnhaftigkeit, eine andere Form der Exzessivität sein könnte. Zudem verstehe ich die Freiheit der Kunst als eine geliehene Freiheit, die unsere Gesellschaft in der Nachkriegszeit der Kunst verliehen hat als Spiegel ihres eigenen Freiheitsbegriffs: Wir sind frei, weil wir diese Kunst zulassen. Möglicherweise verändert sich aber diese Funktion in dem Maße, in dem sich unsere Gesellschaft verändert. Da sind wir wieder bei der Frage, ob es neben dem neoliberalen Freiheitsbegriff, der da heißt: „Ich kaufe, also bin ich. Und wenn ich nicht kaufen kann, was ich will, dann bin ich nicht mehr der, der ich sein möchte.“ vielleicht auch andere Freiheitsbegriffe gibt oder aber ob Freiheit womöglich nicht mehr die Funktion ist, die wir Kunst zuweisen.
[LF] Vielleicht nicht im Sinne von Freiheit des Individuums, aber als Freiheit, die das Andersartige zum Ausdruck bringen kann. Denn sollte man nicht ein gesellschaftliches Bewusstsein dafür unterstellen, dass es in der Kunst um das Durchspielen von Möglichkeitsräumen geht, wodurch ein anderes Wissen entsteht, was Überlebenswissen für die Gesellschaft sein kann?
[JSB] Im Aktionsnetzwerk versuchen wir das Handwerkszeug zu erlangen, um diese Diskussion vernünftig zu führen. Mit der noch zu erstellenden Ökobilanz seid ihr als HFBK weder nachhaltig noch klimaneutral. Aber ihr könnt entscheiden, ob das wirklich eure Freiheit angreift und auf was ihr auf dieser Grundlage wirklich verzichten könnt.
[LF] Das Aktionsnetzwerk war bereits deutschlandweit für Kultureinrichtungen tätig. Wie ist da der Stand und gibt es über die einzelne Institution hinaus schon Resonanz?
[JSB] Zunächst gibt es auf der Ebene derer, die mitgemacht haben, intensive Reaktionen. Da es so unterschiedliche Größen sind wie die Ruhrtriennale, das Museum Ludwig oder die Stadtbibliothek Pankow, ergab sich als erster übergreifender Effekt die Feststellung, dass eine Vergleichbarkeit nicht gegeben ist, weil jede Institution anders funktioniert und deshalb einzeln betrachtet werden muss. Die zweite Erkenntnis war, dass die größten Hebel Mobilität und Energieversorgung sind, was erst einmal entspannend war, weil dies konkrete Ansatzpunkte bietet, ohne gleich das Kerngeschäft aufgeben zu müssen. Auf der medialen Ebene lautete die erste Frage, nachdem wir den CO2 -Rechner angeworfen haben, zumeist: Wie schlimm ist eigentlich die Kultur? Sollte die jetzt dicht machen oder zumindest 50 Prozent Kultur eingespart werden, wenn die CO2 -Bilanz eine 50-prozentige Reduktion anempfiehlt? Nein, denn in dieser Hinsicht ist ein Jahr Kultur ein Bundesligaspieltag. Sollten wir deshalb die Bundesliga aufgeben? Abseits dieser polemischen Diskussion wird sich aber trotzdem etwas fundamental ändern müssen im Kulturbetrieb, vor allem bei den Archiven und Depots, wo sich die Frage nach der Reduktion der Sammlungsbestände wie auch des Ewigkeitsanspruchs stellt, oder auch bei den Ausstellungsräumen und ihrer Zweckbestimmung, ob die sich zwingend im Durchschleusen von 500.000 Leuten erfüllen muss, deren Mobilität wiederum einen enormen CO2 -Fußabdruck hinterlässt.
[LF] Eine Kennzahl, die mit dem Budget verknüpft wird – lässt sich das Nachhaltigkeitsthema doch darauf reduzieren?
[JSB] Das wäre ein Drama. CO2 ist auf der einen Seite ein guter Indikator, weil sich das durch fast alle gesellschaftlichen Bereiche durchzieht. Man versteht den CO2 -Abdruck beim Auto wie auch im Ausstellungsbereich. Trotzdem beschreibt man zwei komplett unterschiedliche Systeme. Deshalb ist CO2 für mich eher ein Maßstab, den man jeweils für den eigenen Bereich adaptieren muss. Denn die Freiheit, die besteht darin, dass man entscheiden kann, wo man den Hebel ansetzt, und eben nicht pauschal beschließt, einfach die Hälfte einzusparen. Durch so eine CO2 -Bilanz entwickelt man erst ein grundlegendes Verständnis dafür, was geht und was man will und was man eben nicht will. Der Satz „Keine HFBK ist auch nicht nachhaltig“ triggert dies so ein bisschen, also das genauere Hinschauen, weil es nie ein einfacher Weg sein wird.
[FvB] Was ich für mich mitnehme aus der Diskussion, neben dem Wissen, dass wir auf einem guten Weg sind mit der Bilanzierung, ist die Notwendigkeit, für die anstehenden Debatten mit der Politik kunsthochschulgemäße Parameter und Indikatoren wie etwa die Alterität zu entwickeln. Und wenn wir in unserer letzten Graduiertenstudie danach gefragt haben, wie viele Ehemalige erfolgreich in ihrem Job sind, wäre dies eben um den Aspekt ihrer gesellschaftlichen Wirksamkeit zu ergänzen. Kunst ist ein Nährboden für Transformation. Deshalb finanziert Gesellschaft sie. Weiterhin. Das wäre, glaube ich, unser zukünftiger Anspruch und nicht mehr nur der, Freiheit zu kultivieren.
Dieser Text erschien zuerst im Lerchenfeld Nr. 61.
Das Gespräch führten Sabine Boshamer und Anna Fahr.
Jacob S. Bilabel hat 2009 die Green Music Initiative (GMI) gegründet, um der Festival- und Veranstaltungsbranche Anregungen zu geben, ihre Aktivitäten nachhaltiger und intelligenter zu gestalten; seit Sommer 2020 leitet er das Netzwerk Nachhaltigkeit in Kultur und Medien, gefördert durch die Beauftragte für Kultur und Medien der Bundesregierung.
Dr. Friedrich von Borries lehrt seit 2009 als Professor für Designtheorie an der HFBK Hamburg und hat sich viel mit nachhaltigeren Designpraxen befasst; 2020 hat er in Kooperation mit dem Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg ein großes Ausstellungsprojekt zum Thema Folgenlosigkeit umgesetzt.