HFBK Hamburg's Public Feed: Anlitze. Konterfeis. Portrait...
Anlitze. Konterfeis. Portraits sind einfache Lösungen.
Schon lange mache ich Porträts. Manchmal verdiene ich Geld damit. Ich habe zu Schulzeiten meine Freunde fotografiert, auch Hunde oder meine Familie. Ich habe dann die Negative, später den Fotoindex bei Rossmann angekreuzt und die Porträts in Briefumschläge gesteckt und den jeweiligen Namen darauf notiert. Anschließend habe ich den Briefumschlag an die fotografierte Person übergeben. Das war einfach meine Aufgabe und ich habe das nicht hinterfragt, denn mein Vater hat das auch immer so gemacht. Er hat seine Vereinstreffen vom Gehörlosentauchverein dokumentiert und alle Mitglieder haben ein paar Abzüge bekommen. Meine Großeltern haben natürlich auch regelmäßig Abzüge erhalten. Und als ich noch zur Grundschule und zur weiterführenden Schule ging, haben die Schulfreunde und ihre Eltern auch Fotoabzüge erhalten. Einmal hat Beppo ein Porträt von sich bekommen. Ich war in der siebten Klasse und in ihn verliebt. Ich bin in der Pause zu ihm gegangen und habe ihm das Portrait gebracht, er hat es vor allen Anwesenden zerrissen. Ich habs voll nicht gecheckt; so viel Wut über ein Foto. Ich war betroffen und nicht mehr in ihn verliebt. Soweit meine Erinnerung. Jetzt mache ich das nur noch so ein Mal im Jahr mit den Abzügen. Die Leute freuen sich. Ich freue mich. Als meine Großeltern gestorben sind haben wir all die Fotos zurück geerbt, die mein Vater und ich den beiden regelmäßig übergeben haben. Eine Kiste mit vielen weißen oder bunten A5 Umschlägen auf denen stand in der schwungvollen Schreibschrift meines Vaters und gelegentlich in meiner Kinderschrift „Oma und Opa“ oder „Omi und Opi“. Das Durchsehen dieser Umschläge war so ganz anders als das Durchblättern eines unserer zig dicken, prall gefüllten Fotoalben. Es war immer nur ein kleines Kapitel in einem Briefumschlag. Und obgleich ich diese Fotos bereits habe, konnte ich sie lange nicht wegschmeißen. Fotos sind eine Aufgabe, ein Lager- und Sortierproblem, ein Erinnerungs- und Beurteilungsding. Nachdem mein Vater mir zum dreißigsten Geburtstag ein weiteres Fotoalbum mit den fotografierten Highlights meines Lebens geschenkt hat, bekam ich einige Wochen später noch eine kleine Rossmannplastiktüte mit etwa fünfzig Rossmannfotoumschlägen mit all den Fotos dazu, die er zu viel bestellt hatte und die es nicht ins Fotoalbum geschafft haben. Es war wieder an mir, diese zu verwalten. Für Freunde und Familie – also ‚privat’ würde man wohl sagen - mache ich kaum noch Fotos. Ich nehme Fotoaufträge für Musiker*innen an oder für andere Kulturschaffende oder Zeitungen, Magazine... ja, aber hauptsächlich fotografiere jetzt Häuser, Gegenstände, Situationen von Steinen und verbauten Materialien. Ich fotografiere Wasser und Sonnenuntergänge und architektonische Großereignisse in Kleinstädten und Dörfern, die vom Wandel des Baumarktsortiments und der Deutsch-Deutschen Geschichte geprägt sind. Ich fotografiere Kritter, Fadenspiele, die Apokalypse und die Zukunft. Außerdem habe ich im vergangenen Jahr wöchentlich ein bis zwei Porträts gemacht. Dafür habe ich Künstler*innen aus Hamburg angeschrieben und sie gefragt ob sie portraitiert werden wollen, erst Freund*innen, später Leute, deren Arbeit ich bemerkenswert und inspirierend finde, später auch Künstler*innen und Kulturschaffende, die mir anderweitig begegnet sind. Das Projekt hatte kein Ziel, ich habe so mein Jahr strukturiert und konnte einen Rhythmus schaffen zwischen den Portraitterminen, Lohnarbeit und der künstlerischen, freien Arbeit. Die Fotos waren lange bei Instagram zu sehen – ich wollte sie in eine irgendwie geartete Kunstwelt zurückgeben. Wollte einen Eindruck schaffen und wollte Reaktion. Vermutlich – sonst hätte ich sie ja nicht hochgeladen. Aber nun weiß ich nicht wie damit umzugehen ist mit all den Fragen, die die Leute stellen. Ob man nicht ein Buch machen soll (warum soll man ein Buch mit Gesichtern machen?) oder ähnliches. Und dann kommt ständig Lob und Kritik und ich merke, dass ich die Geister, die ich rief nicht loswerde. Ich habe zig Negative, die ich einsortieren muss und jede*r bekommt einen digitalen Briefumschlag „Omi und Opi“. Ich habe mich in diesem Jahr durch unwegsam verwachsene Wege geschlagen – durch Harraway, Sci-Fi und Alltag – und diese Bilder waren wie ein Stundenplan mit immer ähnlichem Ablauf und der ewigen Feststellung dass alle Menschen ernsthaft wunderschön sind, wenn man sie lange durch eine Linse betrachtet. Dann verliebe ich mich für Sekundenbruchteile in die jeweiligen Menschen, verliere mich an ihre Augen, ihre brüchige Haut und die Haare, die Hände, oh Gott, ich liebe die Hände und wo sie sich befinden wollen wenn man fotografiert wird, ich liebe die Komplexität der Mimik und Gestik, der Nuancen im Haar, der Bewegung … und dann ist da wieder mehr Last durch Liebe. (ÜBERGANG?? HAST DU KEINE KRAFT MEHR, WEIL DICH DIE LIEBE ANSTRENGT? fragt mich N. JA! Ich habe keine Kraft mehr, weil mich die Liebe zu den Leuten anstrengt. Weil ich so doll liebe und mich einfühle und dann die Nerven verliere. Liebe ist Verantwortung. Das halte ich nicht aus bei so vielen Menschen. Kann man Aushalten lernen?) Jetzt habe ich einfach keine Energie mehr für diese Portraits. Es ist schwierig, wenn man merkt, wie man selbst und alle Anderen diese Portraits als einfache Lösungen abfeiern. Wenn die Menschen Gesichter in den sozialen Medien sehen, werden sie schwach, das Instagramherz pocht schneller. Ein Automatismus, der mir irgendwie zuwider ist, obgleich ich mich davon nicht frei machen kann. Ich stelle keine Bilder von mir in die sozialen Medien. Oder sagen wir sehr selten. Die Reaktionen in der Kommentarspalte finde ich anmaßend und sinnlos. Es folgt eine Bewertung der Menschen, die eigentlich gegen meine Arbeitsweise spricht. Die folgt auch auf die Portraits, die ich gemacht habe. Ich versuche ohne Wertung durch das Objektiv zu gucken, was natürlich nicht geht, das weiß ich, aber es ist ein Versuch. Und was funktioniert: man wertet non-verbal und ohne Symbole. Ohne Like oder Smiley. Einfach gucken. Ohne sprechen. Komischerweise hat das aber nichts damit zu tun, was die Menschen mit den Bildern selbst machen. Es freut mich, wenn sie genutzt werden, hier oder da. Ich möchte dieses Reiz-Reaktions-Konstrukt gerade nur nicht in meinem Bilderkosmos haben. „NARZISTISCHE PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNG ALS NEUES NORMAL, SELBSTBILD, SCHÖNHEIT, ELEGANZ, NACHDENKLICHKEIT ... „ schreibt mir N. Und noch viele Fragen. Ich weiß nicht, wie ich das alles finde. Ich bin müde. „Das konventionelle Porträt wird - gegenüber den vielen Augenblicken, die nicht fotografiert werden - noch als eine Repräsentation der ‚wahren, beständigen‘ Erscheinung einer Person angesehen, oder als die ‚authentische Wiedergabe‘ der Darstellung einer Person. Es besteht allgemein eine große Sicherheit, was ein ‚gutes Porträt‘ sei.“ (S.144) schreibt Silke Grossmann im Künstlermagazin HENRY 5 von 1978. Ich mag Portraits leider trotzdem. Aber noch lieber mag ich die Bilder von den Dingen.