Es ist ein langer Weg
Bärbel Hartje, Ingrid Jäger, Heike Mutter, Anja Steidinger
Personell wie auch inhaltlich sind die Bereiche Gleichstellung und Diversität an der HFBK Hamburg in Bewegung. Lerchenfeld hat die Ansprechpartnerinnen zu einem Roundtable-Gespräch gebeten, um Bilanz zu ziehen und Ausblicke zu geben.
Obwohl die Prüfungen Ende Juni 2021 auf Hochtouren liefen, nahmen sich Ingrid Jäger, Anja Steidinger, Heike Mutter und Bärbel Hartje Zeit für ein Gespräch über ihre Arbeitsgebiete. Ingrid Jäger ist seit 2001 Leiterin der Keramik- und Gipswerkstatt und von 2007 bis Dezember 2020 Gleichstellungsbeauftragte gewesen. Ihr Abschied in den Ruhestand bildete einen wesentlichen Anlass für dieses Treffen. Ihre Nachfolgerin ist Dr. Anja Steidinger, die seit Oktober 2020 die Professur für Kunstpädagogik, Lehramt an Grundschulen innehat. Heike Mutter, Professorin für Anfängerbetreuung im Studienschwerpunkt Grafik/Typografie/Fotografie, ist seit 2007 stellvertretende Gleichstellungsbeauftragte. Bärbel Hartje, Mitarbeiterin in der Abteilung Kommunikation und Vernetzung, hat vor etwa einem Jahr zusammen mit Patricia Ratzel (in Elternzeit) den Arbeitsbereich Diversität übernommen.
Lerchenfeld: Vielleicht sollten wir am Anfang klären, seit wann es das Amt der Gleichstellungsbeauftragten gibt, was es beeinhaltet und warum es im Hochschulgesetz verankert wurde?
Ingrid Jäger: Adrienne Goehler hat das Amt der Frauenbeauftragten, wie es anfänglich noch hieß, 1989, zu Beginn ihrer Präsidentschaft (1989-2002) an der HFBK Hamburg eingeführt. Eine der ersten Frauenbeauftragten war die Filmprofessorin Helke Sander. Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre wurden diese Stellen aufgrund der massiven politischen Forderungen der Frauen an den Universitäten und Hochschulen eingeführt. Es ging um Geschlechtergerechtigkeit und um die Besetzung von Professuren mit Frauen. In den 1990er Jahren erfolgte in Hamburg die Umbenennung in Gleichstellungsbeauftragte.
Lf: Welche Ausgangssituation habt ihr – Heike und Ingrid – 2007 vorgefunden, als ihr angefangen habt? Welche Handlungsfelder oder welchen Handlungsbedarf gab es und worauf konntet ihr aufbauen?
Heike Mutter: Ich war ja noch gar nicht so lange an der Hochschule und bin da so hineingerutscht. Es lag damals viel brach, weil die Stelle schon mehr als ein halbes Jahr nicht besetzt war. Unsere Vorgängerinnen hatten ihr Amt niedergelegt, als in einem Berufungsverfahren alle drei ausgeschriebenen Professuren an Männer vergeben wurden.
IJ: Ich war schon vorher regelmäßig in der Frauen-Vollversammlung, an der alle lehrenden Frauen der HFBK Hamburg teilnehmen. Sie schlägt die Gleichstellungsbeauftragten vor, die dann im Hochschulsenat jeweils für drei Jahre gewählt werden. So war ich bereits involviert und habe mich dann entschieden, das Amt zu übernehmen. Die höchste Priorität hatte für uns beide, zu den Berufungsverfahren zu gehen, möglichst zu zweit und immer gut vorbereitet zu sein. So ist es mit der Zeit gelungen, den Frauenanteil an der HFBK Hamburg auf 46 Prozent zu erhöhen. Ein Ziel, das wir auch deshalb erreicht haben, weil die Hochschulleitung unser Anliegen unterstützt hat. Dieser Rückhalt ist sehr wichtig.
Lf: 2019 nahm die HFBK Hamburg im Hochschulranking nach Gleichstellungsaspekten zusammen mit der KHM Köln den Spitzenplatz ein. Lässt sich ein solcher Status auf Dauer halten?
IJ: Leider nein. Inzwischen sind wir bei den Professuren wieder bei 38 Prozent. Es ist immer schwierig mit diesen Rankings, weil sich das Verhältnis ständig ändert. Wenn an einer so kleinen Hochschule wie der HFBK Hamburg ein, zwei Professuren an Männer vergeben werden, dann verschieben sich die Prozentzahlen sofort.
HM: Es kommt bei der Beurteilung der Geschlechter-Verhältnisse auch immer sehr auf die Perspektive und den jeweiligen Bereich an. Eine Zeitlang waren die Grundlagen-Professuren, die als Äquivalent zu Juniorprofessuren an Unis niedriger dotiert sind als die Stellen der Eckprofessor*innen, mit fünf Frauen und nur einem Mann besetzt. Positiv gelesen bedeutet dies, dass die Hochschule vermehrt den Frauen den Einstieg in die Lehre ermöglicht. Da es aber auch darum geht, Anfänger*innen nicht nur in fachlicher Hinsicht, sondern auch beim Ankommen und Einfinden in der Hochschule zu unterstützen und eine solche „Care“-Aufgabe gerne den Frauen zugeschrieben wird, könnte diese Überzahl auch negativ gelesen werden. Aktuell sind wir im Grundlagenbereich aber wieder ein in vielerlei Hinsicht gemischtes Kollegium. Aus der Perspektive der acht Studienschwerpunkte ergibt sich wieder ein anderes Bild: In der Hälfte von ihnen (Film, Bildhauerei, Grafik/Typografie/Fotografie, Design) lehrt jeweils nur eine Frau. Dazu kommt bei zweien ein Missverhältnis bei der Verteilung auf Eckprofessuren und der Grundlagenprofessuren. Es gibt aber auch zwei Schwerpunkte, die mehrheitlich weiblich besetzt sind (Theorie und Geschichte, Zeitbezogene Medien) wie auch der Studienschwerpunkt Malerei/Zeichnen mit der Berufung von Rajkamal Kahlon.
Lf: Welche Strategien hattet ihr?
IJ: Wir hatten vor allem den Grundsatz, dass wir bei einem gravierenden Konflikt in einer Berufung nicht zurücktreten werden. Es sind ja trotz allem demokratische Entscheidungen, die in Berufungskommissionen fallen. Wir waren nicht immer glücklich damit, mussten aber das Ergebnis akzeptieren. Ich habe auch nie ein Veto eingelegt, was bewirkt hätte dass das gesamte Verfahren noch einmal aufgerollt worden wäre. Wenn die Berufungskommission in einem ausgeglichenen Geschlechter-Verhältnis (ausgeglichen heißt, mit einer Abweichung von höchstens 60 zu 40 Prozent) besetzt war, die vorgeschriebene Anzahl an Bewerberinnen eingehalten wurde und über Einwände diskutiert wurde, was ja durch unsere Anwesenheit bezeugt war, ist das Verfahren korrekt gelaufen. Unsere Einstellung war, sich nicht komplett zu überwerfen mit der Hochschulleitung und den Kolleg*innen, die alle viel Arbeit in das Verfahren hineineingesteckt haben. Aber das ist schon auch eine Gratwanderung.
Lf: So wie ich euch beide verstehe, dann kommt es ja auch darauf an, eine andere Kultur und ein Bewusstsein für Gleichstellung an der Hochschule herzustellen. Also ein ständiges Gespräch, denn wenn es in der Berufungskommission oder in den Berufungsverfahren zu schwierigen Situationen kommt, dann ist es ja eigentlich schon zu spät.
HM: Das ist richtig. Aber das Vetorecht verleiht der Stimme der Gleichstellungsbeauftragten trotzdem Gewicht. Ich kann mich gut erinnern, dass man mit einem Verweis auf das Vetorecht Diskussionen anstoßen und die Entscheidungsfindung noch einmal besonders beeinflussen konnte.
Lf: Ein weiteres Handlungsfeld in der Gleichstelllung ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder Studium. Ihr habt in dieser Hinsicht viel erreicht, so dass die HFBK Hamburg 2014 zum ersten Mal das Zertifikat zum Audit familiengerechte hochschule erhielt. Was für Erfahrungen habt ihr gemacht?
IJ: Was wirklich lange gedauert hat, war eine sinnvolle Kinder-Notfallbetreuung für studierende Eltern einzurichten. Wir hatten 2014 zunächst eine Kooperation mit einem Dienstleister begonnen, der bei Bedarf qualifiziertes fürsorgendes Personal zu den Familien nach Hause schickt. Das Angebot wurde aber sehr wenig bis gar nicht genutzt.
HM: Offensichtlich war es eine zu große Hemmschwelle, dass es ein externer Anbieter war, und Eltern ihre Kinder im Krankheitsfall lieber einer Person anvertrauen, die sie kennen. Nun probieren wir es anders: Studierende Eltern und Promovierende können eine Bezuschussung von 200 Euro pro Semester, im Abschlusssemester sogar 300 Euro für Kinderbetreuungskosten in Anspruch nehmen, wenn sie außerhalb der Regelbetreuungszeiten zum Beispiel an einer für ihr Studium wichtigen Hochschulveranstaltung teilnehmen wollen oder in Prüfungsvorbereitungen stecken. Natürlich auch, wenn die Kinder krank sind und deswegen nicht in die Kita gehen können. An der Hochschule für Musik und Theater funktioniert dieses Prinzip gut.
IJ: Als praktische Maßnahmen haben wir gleich zu Beginn unserer Amtszeit den Eltern-Kind-Raum eingerichtet, der so ausgestattet ist, das er als Treffpunkt, aber auch als Rückzugsort und Ruheraum dient, in dem Eltern und Kinder auch schon mal Schlaf nachholen können. Es folgte die Ausstattung der Mensa mit Kinderstühlen. Dann haben wir gemeinsam mit Studierenden des Studio Experimentelles Design von Jesko Fezer die Kinderinsel konzipiert, die während der großen Ausstellungen den Kindern von Mitarbeiter*innen wie Besucher*innen die Möglichkeit bietet, sich künstlerisch zu betätigen – mit wechselnden Themen und Materialien zu jeder Ausstellung. Dabei werden sie von Studierenden betreut.
HM: Darüber hinaus geht es außerdem ganz allgemein um die Frage, wie man hier physischen und gedanklichen Raum schafft für Kinder und ein Bewusstsein dafür, dass es überhaupt studierende Eltern gibt.
Lf: Was unter Gleichstellung zu verstehen ist, haben wir nun umrissen. Aber was bedeutet im Verhältnis dazu Diversität?
Bärbel Hartje: Ingrid und Heike haben schon länger darauf hingearbeitet, dass der Gleichstellungsbereich ausgebaut werden muss, weil alleine Geschlechtergleichstellung nicht ausreichend ist, wenn es darum geht, eine allgemeine Chancengleichheit für alle Menschen herzustellen. Und so wurde der Bereich Diversität eingeführt und in dem Verwaltungsbereich Kommunikation und Vernetzung der HFBK Hamburg verankert. Dies erfolgte vor dem Hintergrund, dass Merkmale einer diversen Kultur wie beispielsweise Perspektivenvielfalt oder Internationalität an der HFBK bereits gelebt werden, dies aber wenig sichtbar kommuniziert wird. Zum andern wird künftig über Veranstaltungsangebote eine diversitätsorientierte Hochschulkultur weiter ausgebaut.
Lf: Wie sieht denn bei der Diversität die gesetzliche Verankerung aus?
BH: Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) gibt es seit 2006, also auch schon seit 15 Jahren. Und das ist für jeden Arbeitgeber bindend. Als öffentliche Institution eine diversitätsorientierte Hochschulkultur zu entwickeln bedeutet, Programm, Personal und Publikum genau anzuschauen, wie divers dieses aufgestellt ist. Wie divers ist unser Lehrangebot? Welche Diskurse verfolgen wir hier und wie offen werden sie geführt? Wie erweiterungsfähig sind die Diskurse? Wie viel Diversität gibt es bei den Hochschulmitgliedern? Und wie divers ist das Publikum, das zu unseren Ausstellungen, Symposien, und Vortragsreihen kommt? Wir müssen uns fragen, ob in diesen Bereichen Menschen strukturell benachteiligt werden und ob Ausschlüsse stattfinden. Das Komplexe an dieser Aufgabe ist der Umgang mit Identitätsmerkmalen, für die es keine formale Erfassung gibt, beziehungsweise diese – wie im Fall von Geschlecht – nicht ausreichend ist. Es geht um unterschiedliche kulturelle und soziale Herkunft, sexuelle Orientierung, Glaubensrichtungen und Weltanschauungen, physische oder psychische Dispositionen und wie offen Menschen sind, diese zu benennen.
Lf: Also im Grunde ist der Arbeitsbereich Diversität eine Erweiterung und Ergänzung der Gleichstellung?
BH: Es ist eine logische Weiterführung der Gleichbehandlung, dass man zum Beispiel nicht nur auf die Gleichstellung von Frauen und Männern schaut, sondern anerkennt, dass es mehr als diese zwei Geschlechter gibt und versucht, dem gererecht zu werden.
Lf: Wie hängt diese Aufgabe mit eurer alltäglichen Arbeit an der Hochschule zusammen?
BH: Zu meinem Arbeitsfeld gehört unter anderem die Organisation von Ausstellungen und Veranstaltungen. In diesem Rahmen begleite ich Projekte, die Diversität zum Thema haben und initiiere gerade ein Workshopprogramm zur Diversitätssensibilisierung für alle Hochschulmitglieder. Die Erfahrung zeigt, dass gerade in Diskriminierungsfällen oder in Situationen, wo Studierende sich ungerecht behandelt fühlen, die Betroffenen nicht wissen, an wen sie sich wenden können. Daher ist es unsere Aufgabe, in unserer alltäglichen Arbeit klarer darzustellen, wer in welcher Situation ansprechbar ist und die Kontakte herzustellen zu den Gleichstellungsbeauftragten und anderen vom Senat gewählten Vertrauenspersonen. Ein wichtiger Schritt war, alle Informationen zum Thema Diversität an der HFBK Hamburg und auch zu Hilfsangeboten auf der HFBK-Website im Überblick zusammenzufassen. Dort ist unter anderem auch die Richtlinie gegen geschlechtsbezogene Diskriminierung und sexuelle Gewalt veröffentlicht und alle Ansprechpersonen mit Kontaktdaten gelistet.
IJ: Als Gleichstellungsbeauftragte fordern wir seit Langem, dass es eine externe psychologische Beratung geben sollte, die speziell auf die Situation an der Hochschule eingeht. Das denkt man vielleicht bei Gleichstellung und Diversität nicht unmittelbar mit, aber es spielt oft in Situationen eine Rolle, in denen es um Diskriminierung geht.
BH: Das erlebe ich aber nicht als das eigentliche Problem. Es gibt ja mit der Beratungsstelle des Studierendenwerks eine externe sozial-psychologische Betreuung für alle Hamburger Hochschulen. Dass sie rechtlich und finanziell über das Studierendenwerk läuft, dient dazu, eine übergeordnete Neutralität zu gewährleisten. Sie ist eine erste Anlaufstelle, kein Therapieplatz. Der Anspruch, hier in allen Aspekten der eigenen Studiensituation verstanden zu werden, scheint mir deshalb auf einem Missverständnis zu beruhen. Jede Person, die eine psychologische Betreuung benötigt, hat nach einer ersten Beratung die Schwierigkeit, sich eine passende Therapeutin oder Therapeuten zu suchen. Was aber für mich immer deutlicher wurde ist, dass Menschen im Diskriminierungsfall, im Falle einer Auseinandersetzung mit anderen Studierenden, mit Lehrenden vielleicht auch mit Verwaltungsmitarbeiter*innen, unter den möglichen Ansprechpersonen nicht immer die richtige Vertrauensperson für sich finden. Und da gebe ich dir recht, dass wir versuchen müssen, eine neutrale Person zu finden oder eine Gruppe von Personen.
Lf: In welchen Formaten tauschen sich die mit Gleichstellung und Diversität befassten Personen miteinander aus?
BH: Die Lenkungsgruppe Diversität, zu der die beiden Gleichstellungsbeauftragten und ich gehören, sowie Ingo Offermanns, der als HFBK-Vizepräsident für den Bereich Diversität verantwortlich ist, trifft sich einmal im Monat beziehungsweise dreimal im Semester, immer im Rhythmus der Senatssitzungen. Wir sprechen dann nächste Schritte miteinander ab und und berichten uns gegenseitig aus unseren Aufgabenbereichen. Darüber hinaus gibt es regelmäßige Arbeitsgruppentreffen, der Vertreter*innen unterschiedlicher Statusgruppen der Hochschule, die sich auch im engeren und weiteren Sinne mit Diversität beschäftigen. Also auch die Gleichstellungsbeauftragten des Technischen-, Bibliotheks- und Verwaltungspersonals (TVP), die Beauftragten für Menschen mit Beeinträchtigung, die Leitung des International Office sowie Studierendenvertreter*innen. Durch diesen Austausch können wir uns gegenseitig unterstützen.
Lf: Was ist geplant, um die Gesamtheit der Mitarbeiter*innen der Hochschule noch mehr für das Thema zu interessieren und zu sensibilisieren?
BH: Zusammen mit einer studentischen Hilfskraft entwickle ich zurzeit ein offenes Workshopangebot, das sich an unterschiedliche Zielgruppen wie Studierende, Professor*innen, Werkstattleiter*innen und Mitarbeiter*innen richtet und einerseits die Diversitätssenbilisierung fördert, andererseits auch Empowerment sein kann für Leute, die Diskriminierung hier erfahren. Es sollen möglichst viele Aspekte von Diversität aufgegriffen werden – gleichzeitig müssen wir eine sinnvolle Struktur finden, die möglichst viele Teilnehmer*innen anspricht.
Lf: Es gibt an der Hochschule auch studentische Initiativen, die dieses Thema aufgreifen. Arbeitet ihr mit ihnen zusammen?
BH: Mit der Critital Diversity AG sind wir von Anfang an in Kontakt gewesen. Wir treffen uns regelmäßig alle drei Wochen, um uns auszutauschen. Wir geben uns gegenseitig Tipps zu Veranstaltungen, Texten, Workshopmöglichkeiten und ich erfahre über die AG mehr über die Bedürfnisse, virulenten Themen und auch Konfliktsituationen hier in der Studierendenschaft.
Lf: Anja, du hast, bevor du an die HFBK Hamburg kamst, in Barcelona gelebt und künsterisch viel in Kollektiven gearbeitet. Welche Erfahrungen hast du dort bezüglich Gleichstellung und Diversität gemacht?
Anja Steidinger: Wir haben in Barcelona ein Kollektiv gegründet, Enmedio. Enmedio heißt auf Deutsch inmitten, aber auch dazwischen. Und auch Medium. Wir waren tatsächlich sehr divers aufgestellt. Das war die Herausforderung mit ganz unterschiedlichen Kulturkreisen, Herangehensweisen an Kunst und Protestkultur ein Kollektiv auf die Beine zu stellen. Gleichstellung im Sinne von Frauengleichstellung zu Männern war in der Gruppe immer ein sehr unbeliebtes Thema. Es ging eher darum, mit Identitätspolitiken zu arbeiten, sich punktuell genau zu diesen Konflikten und Problemen zu treffen und das, was uns alle spaltet, auch in unterschiedlichen Kämpfen, dann zusammenzuführen. Wir haben versucht, Zwischenräume herzustellen. Und das ist etwas, dass ich nach wie vor sehr wichtig finde, die Frage danach, wie wir Solidaritäten und Allianzen herstellen können. Es geht um das Im-Gespräch-Bleiben, um nicht zu fraktionieren und sich auf eigene Territorien zurückzuziehen. Es geht in manchen Momenten aber auch um das Abwägen, ob Trennungen oder Spaltungen beispielsweise als Schutzraum für bestimmte Personengruppen notwendig sind, um neue Perspektiven entwickeln zu können – es gibt keine allgemeine Formel.
Lf: An solche Erfahrungen anknüpfend bist du jetzt seit einem halben Jahr Gleichstellungsbeauftragte. Hast du schon Vorstellungen, was du gerne erreichen würdest in nächster Zeit?
AS: Ich habe meine Professur und drei Monate später auch mein Amt mitten in der Corona-Krise angetreten. Es wurde sehr schnell klar, dass wir nicht alle gleichgestellt sind in einer Krisensituation, dass insbesondere Studierende mit Kindern viel größeren Belastungen durch die zusätzliche Kinderbetreuung ausgesetzt sind und dass sie sehr vereinzelt und isoliert sind. Heike und ich haben versucht, sie zusammenzubringen, um über ihre Probleme zu reden und dann gemeinsam zu überlegen, wie sie überwunden werden könnten. Die Vernetzung der Studierenden mit Kindern wurde durch die PandemiesSituation akut. Ein anderes Projekt, das mir langfristig vorschwebt, knüpft an die von Heike und Ingrid entwickelte Kinderinsel an. In meiner Klasse, der Klasse_Grund_Schule arbeiten wir an einem Projektraum für Kinder, der von der bestehenden Grundstruktur der Kinderinsel ausgeht. Mehr wird aber noch nicht verraten, es soll ja eine Überraschung sein.
HM: Eigentlich wäre es auch ein schönes Projekt, mehr männliche Studierende für das Studium der Grundschulpädagogik zu interessieren…
AS: Genau. Grundschulpädagogik gilt nach wie vor als Fürsorgearbeit, die erstaunlicherweise immer noch den Frauen zugeschrieben wird. Eine Arbeit, die schlechter bezahlt wird. Es liegt auch daran, dass es immer noch eine falsche Vorstellung von Kunstpädagogik und speziell von Kunst an Grundschulen gibt. Es geht ja nicht um „Basteln“ nach Vorlagen, sondern darum, künstlerische Entwicklungsvorhaben gemeinsam mit Kindern zu entwerfen, um auf diese Weise gerade auch selbstständiges Denken und Arbeiten erfahrbar und lernbar zu machen.
BH: Dabei besteht so ein Bedarf an Grundschullehrer*innen, dass eigentlich längst Anreize geschaffen sein sollten, auf Grundschullehramt zu studieren. Auch durch eine finanzielle Angleichung.
IJ: Es wird immer mit der kürzeren Ausbildungszeit argumentiert. Auch bei uns ist das Studium der Grundschulpädagogik auf drei Jahre angelegt, während das allgemeine Bachelor-Studium vier Jahre umfasst. Ich finde, das ist kein gültiges Argument. Grundschullehrer*innen müssen endlich angemessen bezahlt werden. Wahrscheinlich würden sich dann auch mehr Männer für das Studium entscheiden.
Lf: Also da haben wir zum Ende des Gesprächs einen großen Handlungsbedarf aufgedeckt. Und jetzt möchte ich dich, Ingrid, noch einmal abschließend fragen, was du dir in Bezug auf dein Arbeitsgebiet für die Zukunft wünscht?
IJ: Ich möchte die Chance nutzen, noch einmal meine Freude auszudrücken. Es gibt sicher noch viel zu tun, aber ich sehe, dass das mit den drei Kolleginnen in sehr guten Händen ist. Es ist, wie wir festgestellt haben, eine zähe Arbeit und es muss weitergehen. Gleichstellung und Diversität sind Arbeitsfelder, die sich ergänzen und in denen es unglaublich viel zu tun gibt. Aber ich sehe das jetzt auf einem guten Weg.
Interview: Julia Mummenhoff
Dieser Text erschien zuerst im Lerchenfeld Magazin #58