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“Um 1800. Kunst Ausstellen als wissenschaftliche Praxis” lautete der Titel der Auftakt-Veranstaltung für das gleichnamige interdisziplinäre Forschungsprojekt, das aktuell von Petra Lange-Berndt (Universität Hamburg), Dietmar Rübel (Akademie der Bildenden Künste München) und Isabelle Lindermann (Universität Hamburg) in Kooperation mit der Hamburger Kunsthalle durchgeführt wird. Gegenstand der Untersuchung ist der Ausstellungszyklus “Um 1800”, der 1974-81 von Werner Hofmann an der Hamburger Kunsthalle kuratiert wurde. Hier empfiehlt es sich gleich, eine Rolle rückwärts zu machen und neu zu beginnen: Zu Zeiten Hofmanns gab es noch kein „kuratieren“, damals „machte man Ausstellungen“, und auch dies seit noch gar nicht langer Zeit. Dieser Terminologie folgt auch das Forschungsprojekt und behauptet damit auch immanent eine Untersuchung der Bedeutung dieser so handfest–pragmatisch wie auch großspurigen Wendung des Ausstellung Machens – und ihrer Abgrenzung zum heute omnipräsenten, abstrakt-distinguierten „kuratieren“, das sich längt nicht mehr nur auf Ausstellungen, sondern auch auf Playlists, Wohnzimmereinrichtungen und Gästelisten anwenden lässt. Hofmann aber machte Ausstellungen und im Besonderen eben jene neun Ausstellungen an der Hamburger Kunsthalle, die, so Petra Lange-Berndt, der Verhandlung einer Kunstgeschichte der europäische(n) Moderne(n) und ihrer damaligen Kanonisierung verpflichtet waren. Um welche “Moderne” handelt es sich? Dieser Frage geht Dietmar Rübel in seinem Beitrag nach: geht es um das Adjektiv “modern” als relativierende Angabe oder subjektiviert als Epochenbezeichnung? Weder noch: Es geht um die Moderne als historische Größe - sie soll mitsamt ihren Begriffen historisiert und damit kontextualisiert werden – und damit die „Moderne als unsere Antike“, wie es Rübel formuliert, als also unumstößliches Bezugssystem und Sehnsuchtsbild eines radikal Neuen, das unser Heute eingeläutet hat, hinter uns gelassen werden. Rübel vergaloppiert sich an der ein oder anderen Stelle in seinen eigenen Begriffsgeschichten und Latour-Zitaten, aber es wird deutlich: Der Moderne mit ihren Universalismen, Absolutismen und Realismen soll nun endgültig der Garaus gemacht werden. Nun ist die Kunstgeschichte ein Produkt der Moderne und unwiderruflich von jenen “modernen” Begriffen, Kategorien und Mythen durchzogen, welchen die Veranstalterinnen den Kampf ansagen. Die Moderne steht für ein teleologisches Geschichtsmodell, das dem Mythos der einen Geschichte huldigt - wie der einen Kunstgeschichte. Gegen eben diese Auffassung einer monolithischen Kunstgeschichtsschreibung spricht sich das Forschungsprojekt der Veranstalterinnen aus. In Ausstellungen, so lautet die These des Forschungsprojektes, werden Geschichten im Plural erzählt; anhand von Werner Hofmanns Ausstellungszyklus “Um 1800” sollen Antagonismen, Vielfältigkeiten und Undiszipliniertheiten in den Blick genommen werden. Im Abendvortrag widmet sich Charlotte Klonk somit konsequenterweise der Kunstgeschichtsschreibung, und zwar zu einem der neun Protagonisten der Ausstellungsreihe “Um 1800”: William Turner. Sie macht auf die gegensätzliche Rezeption Turners in der englischen und deutschen Kunstgeschichtsschreibung aufmerksam. Während er in letzterer als widerständiger Visionär der künstlerischen Avantgarde (Werner Haftmann, 1972, Nationalgalerie Berlin) oder als Vorreiter der Moderne im Zeichen des Marxismus (W. Hofmann, 1976, Hamburger Kunsthalle) gedeutet wurde, wurde seine Geschichte in Großbritannien von Beginn an als Erfolgsgeschichte geschrieben, die sich nahtlos in die Kunstproduktion seiner Zeit eingliedern ließ. Anhand einzelner Arbeiten Turners, wie seinem berühmten „Rain, Steam and Speed – The Great Western Railway“ von 1844, vollzieht Klonk eine simultane Lesart beider Perspektiven nach; „Prosa & Poesie“, nennt sie die beiden Qualitäten Turners und meint damit den inhaltlichen, zeit- und gesellschaftshistorischen Gehalt und das sinnlich Gegebene, die Farb- und Lichtdynamiken des spezifischen Moments. Im Anblick der Great Western Railway holt uns auch wieder die gerade eben noch totgesagte Moderne ein – die Eisenbahn als Personifikation einer rasenden, dampfenden, stampfenden neuen Zeit, die aus dem Nichts kommt. „Bilder eignen sich nicht dafür, Widersprüche aufzuzeigen, es gelingt ihnen allenfalls eine Gleichzeitigkeit“, behauptet Klonk und beim Anblick des Eisenbahnbilds will man ihr recht geben – die Kunstgeschichtsschreibung selbst hat Begriffe wie „Moderne“ zu lange bildhaft genommen und von Bild zu Bild, Zyklus zu Zyklus, Epoche zu Epoche gedacht, als wären das naturgegebene Größen und nicht selbst ausgedachte Klassifikationen und Organisationen. Die weiteren Ergebnisse des Forschungsprojekts können also nach diesem vielversprechenden Entree sehnsüchtig erwartet werden; insbesondere, da die zentrale Behauptung des Projekts – Kunst Ausstellen als wissenschaftliche Praxis – vorerst noch als genau jene so stehen blieb: als Behauptung.