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Alltag Sunrise
Neulich war ich in der Mönckebergstraße. Ich war dort für ein Porträt verabredet, was ich dort machen wollte. Anschließend wollte ich alleine etwas durch die Gegend spazieren und die Warenauslagen fotografieren. Auch die Schaufenster. Ich muss grade viel über die Muster des Kapitalismus nachdenken. Diese konstruierte Schaufensterwelt ist spektakulär. Wie von Geisterhand schweben teure Schmuckstücke, Schokoladentaler oder Mützen an Angelsehnen von der Decke herab, kreisen güldene Sternzeichenanhänger auf einem Auslagekarussel und zwischen vereinzelter Laubdekoration kann man die Kabellage sehen. Und trotzdem fällt es mir schwer hier zu arbeiten und einen fremden Blick zu entwickeln. Irgendwie bin ich zu nah dran und zu weit weg. Wenn ich nach Niendorf ins Einkaufszentrum fahre, fällt es mir leichter. Ich bin näher dran am Thema - es ist schneller durchschaubar für mich. Vor der Tür fährt ein überdachter Rollstuhl durch die Fußgängerzone, wie ein halbierter Smart. Im Einkaufszentrum stehen hier und da Gruppen von Rentner*Innen. Zumeist beige bekleidet, in einem Parka, mit der üblichen Frisörfrisur schwatzen die Damen miteinander wie einst auf dem Marktplatz. Die Herren eher vereinzelt, auf den Sitzbänken der Metzgerrestaurants. Grünkohl mit Wurst und Fleisch und dazu Kartoffeln. Und eine Fanta. Oder ein Krombacher. Unten im Einkaufszentrum befindet sich eine runde Sitzbank. Man kann sich darauf setzen und sich mit dem Rücken an eine Säule anlehnen, die nach oben hin zu einer kreisrunden Lampe wird auf der ein Foto von einer Baumkrone zu sehen ist. Von dieser Bank aus kann man die Eingänge in die einzelnen Supermärkte betrachten. Die Eingänge sind festlich dekoriert. Enorme Kürbisse sind in große Holzkisten gestapelt , eine Vogelscheuche steht dazwischen. Weitere Holzkisten sind mit losen Äpfeln und eingeschweißten Äpfeln der Marke „Pink Lady“ aufgefüllt. Die Einkaufswägen ergeben eine Gitterfläche vor Plexiglasleuchten auf denen ebenfalls große Abbildungen von zerberstend frischem Obst und Gemüse zu sehen sind. Die Pflaumen und Gurken sind so kräftig und saftig, dass mir ganz übel wird. Ich fahre mit den Rolltreppen hoch. Wie ich so nach oben schaue sieht die Decke des Einkaufszentrums aus wie eine Raumstation. Kabel, Lampen, Spiegel und dazwischen kleine Lücken, die die Haustechnik sichtbar machen. Ich mag den Blick dort hoch. Ich fahre immer weiter nach oben bis ich ans Parkdeck komme. Geschäftige Menschen nesteln am Parkautomat. Sie tragen ihre Einkäufe und ich fühle mich wie ein Eindringling. Ich lasse mich wieder ein Stockwerk tiefer transportieren. Hier kommt ein Geschäft mit Dekoartikeln zum Vorschein. Es heißt Fantasia. Ich staune und versuche möglich beiläufig ein Bild von einem Drachen aus bemaltem Kunststein zu machen, den ich vor ein mit Pailletten besticktes Kissen gestellt habe. Gleichzeitig denke ich darüber nach, wer die Pailletten aufgenäht hat, wie kalt und spitz sie sich an meiner Wange anfühlen würden, wenn ich mich auf mein Sofa legen würde und meine Wange darauf legen um etwas zu schlafen. Dann denke ich darüber nach, was das für eine merkwürdige Erscheinung ist, Pailletten - man kann sie inzwischen durch eine Streichbewegung wenden so dass das Kissen (oder T-Shirt) eine andere Farbe hat. Dann denke ich darüber nach, was die Verkäuferin wohl von mir denkt und ich stelle mir vor, ich bin eine Frau vom Fach. Innendekoration. Ich stelle noch mehr Gegenstände vor andere und mustere sie intensiv. Dann entdecke ich drei Magnettafeln und bin der Meinung, ich könnte sie für eine Arbeit gebrauchen. Ich kaufe sie und bekomme eine riesengroße Tüte auf der Fantasia drauf steht. Jetzt gehöre ich dazu. Ich bin kein Fremdkörper mehr in der Mall. Ich fotografiere die telekinetisch bewegten Waren, die übervollen Eisbehälter, auf denen wie mit einem Kamm verziert wellenartige Muster entstehen. Konsum und Telekinese.
Die Magnettafeln sind jetzt in meinem Atelier. Sie sind von schlechter Qualität. Meine Magnetobjekte halten nicht gut und ich habe sie erstmal beiseite gelegt. Aber die Plastiktasche ist gut.
https://www.youtube.com/watch?v=tXrsFMaW9MY
Als er schon transzendent war, begann ich endlich zu begreifen, was nicht zu begreifen ist. Ich traue der Trauer nicht. Sie schneidet mir meine Fühler ab. Ich kann nur noch Kakao trinken und über Telekinese nachdenken. Würde gerne kiffen oder Kampfsport machen. Beides strengt mich zu sehr an. Ich sammle Bilder über Waren, Warendarbietung und Fantasie. Was meinst du? Ich sagte Fantasie, ja. Haha, was soll denn das sein? Das Einhorn ist demnach die aktuelle Auseinandersetzung mit transzendentalen Erfahrungen, die sich, neben Horoskop und so zu Geld machen lassen. Während dessen liegt mein Onkel, Bruder der Herzen, am Arsch im Bett und stirbt. Langsam. Er isst nicht mehr. Ich frage mich wirklich ob es im Endeffekt immer wieder so banal wird: wenns drauf ankommt, auf Leben und Tod, ist alles klar. Alles egal. Alles kommt und geht und man verbleibt in esoterischen Gedanken. Seele. Wenn es dann wieder alltäglicher wird, kann man wieder Vernunft fassen. Haraway sagt man sei eh verstrickt. Man könne aber das Muster ändern. Wenn es drauf ankommt möchte ich aber nur Hand halten.