Le Monde Problématique: Debattenrundschau vom 19. August
Willkommen zu meiner Debattenrundschau vom 19.08.2019!
Nach langanhaltenden Protesten unterschiedlichster Interessensgruppen hat vor einigen Wochen der Unternehmer Warren Kanders seinen Posten als Vizevorsitzender des Vorstands des New Yorker Whitney Museums aufgegeben, wie unter anderem Hyperallergic.com berichtete. Dessen Firma Safariland stelle Kampfausrüstung und nicht nicht-tödliche Waffen her, welche unter anderem gegen MigrantInnen an der Mexikanisch-Amerikanischen Grenze eingesetzt worden seien, so einer der wichtigsten Vorwürfe gegen Kanders. Seine Präsenz im Vorstand des Museums sei unvereinbar mit den moralischen Maßstäben des Whitney, weshalb ein Rücktritt absolut notwenig sei. Dass Kanders nur die Spitze des Eisbergs sei, behaupten Whitney Mallett and Katy Schneider in ihrem Artikel für Vulture.com. Sie haben eine Liste mit den „toxischsten“ Museumsaufsichtsräten New Yorks zusammengestellt, in denen zahlreiche Unternehmer und Unternehmerinnen mit moralisch fragwürdigen Geschäftsmodellen und -praktiken zu finden seien.
Eine sehr interessante Diskussion zwischen der Soziologin Franziska Schutzbach und dem Herausgeber der Wochenzeitung der Freitag, Michael Angele, wurde vor knapp einer Woche im Hausblatt Angeles veröffentlicht. Schutzbachs Buch „Die Rhetorik der Rechten: Rechtspopulistische Diskursstrategien im Überblick“ erschien Ende vergangenen Jahres. Es werden einige Themen angesprochen, die in Hinblick auf die aktuellen Diskussionen im Kunst- und Kulturbereich interessante Perspektiven eröffnen, sei es in Bezug auf „Political Correctness“ oder Kunst- und Meinungsfreiheit. Gerade letztere gelten als Grundpfeiler liberaler Gesellschaftsordnungen, werden jedoch häufig von rechter Seite beansprucht, um die Grenzen des Sagbaren zu verschieben. Progressive, linke Akteure hingegen scheinen sich im Kunstbereich stärker auf die Betonung von Verantwortung und moralischem Handeln zu konzentrieren.
Künstler und Aktivist Ai Weiwei hat der Tageszeitung Die Welt ein Interview gegeben, in dem er unter anderem ankündigt, Deutschland verlassen zu wollen und dies auch mit der aus seiner Sicht mangelnden Offenheit der deutschen Gesellschaft begründet: „Deutschland ist keine offene Gesellschaft. Es ist eine Gesellschaft, die offen sein möchte, aber vor allem sich selbst beschützt. Die deutsche Kultur ist so stark, dass sie nicht wirklich andere Ideen und Argumente akzeptiert. Es gibt kaum Raum für offene Debatten, kaum Respekt für abweichende Stimmen." Diese und andere kritische Äußerungen des Künstlers platzten in die Stille des Sommerloch und erzeugten ein gewaltiges Echo: fast das gesamte deutschsprachige Feuilleton sah sich zu Kommentaren genötigt. Einen der interessantesten hat Daniel Völzke für Monopolverfasst.
Seit einigen Jahren wächst das Interesse an Kunst und künstlerischen Strategien, welche sich mit sogenannter Künstlicher Intelligenz beschäftigen bzw. diese konkret zum Einsatz bringen. Vergangenen Oktober wurden auf einer Auktion von Christie‘s $432,500 für einen Druck bezahlt, dessen Motiv vollständig von einem Algorithmus erzeugt wurde (→ Wikipedia ). Das Thema hat also auch kommerzielles Potential, welches allerdings nicht ganz so einfach auszubeuten sei, wie Mike Pepi in seinem Artikel für Art In Amerika berichtet. Anlass für seinen Artikel ist ein Kongress des Auktionshauses Christie’s, auf welchem fünfundzwanzig Expertinnen und Experten einen Tag lang über die Auswirkungen von KI (und mit ihr assoziierte Technologien) auf die Produktion, den Konsum und den Verkauf von Kunst diskutiert hätten. Ein klassisches Problem für den Kunstmarkt sei beispielsweise die unklare Autorschaft bei algorithmisch erzeugten Kunstwerken. Pepis Artikel gibt einen kompakten und angenehm nüchternen Einblick in ein völlig überhyptes Thema. Denn bei genauerem Hinsehen entpuppen sich viele KI-basierten Kunstwerke als technische Kabinettstückchen, welche sich ganz auf die (vorgebliche) Autonomie technischer Prozesse verlassen.
Die Autorin und Journalistin Kathrin Passig beschäftigt sich schon lange mit den Auswirkungen von technischen Neuerungen auf die kulturelle Produktion. Oliver Pfohlmann hat für die TAZ ihre nun gedruckt vorliegenden Vorlesungen zur „Kunst des Schreibens“ rezensiert und kommt dabei auch auf die Einschätzungen der Autorin zum Thema digitale Kunst zu sprechen: „Für Kathrin Passig ist [sie] letztlich sogar immer ein Stück weit Publikumstäuschung – wie im 18. Jahrhundert der legendäre ‚Schachtürke‘. Denn auch hinter der vermeintlich computergenerierten Kunst verstecke sich ja immer ein Mensch, der alle letzten, auch und gerade künstlerischen Entscheidungen treffe. Ein Mensch programmiert, er füttert die Algorithmen mit diesem oder jenem Datenmaterial, und vor allem, er wählt am Ende aus den Ergebnissen das Beste und Originellste aus.“
Das „Museum of Ice Cream“ eröffnete im Juli 2016 in New York und wurde schnell zu einer außergewöhnlichen Erfolgsgeschichte. Es bietet seinen Besuchern und Besucherinnen zahlreiche bunte Settings zur fotografischen Selbstinszenierung, deren Ergebnisse dann z.B. auf Instagram gepostet werden können. Gerade wurde die Firma hinter der Idee von Investoren mit 200 Millionen US-Dollar bewertet, wie unter anderem Helen Holmes in ihrem schlecht gelaunten Artikel für den Observer berichtet. Sie stört sich an der absoluten Harmlosigkeit des Erlebnisses, welches das „Museum of Ice Cream“ biete. Sie schreibt: „[It is proposing] that museums don’t have to be sites of intellectual challenge, spiritual inquiry or even mild discomfort. A museum can just be a brightly lit room offering nothing, and people will still show up to see what the fuss is about. That, unfortunately, is the future.“
Ein Plädoyer für das Erfahren von Kunst durch die Fotografie hat Tom Emery im Guardian veröffentlicht. Er sieht das Fotografieren in Ausstellungen als einen Akt der Aneignung, welcher über die passive Rezeption des reinen Betrachtens hinausgehe. Das Fotografieren in Museen und Galerien zu verbieten, habe etwas snobistisches, so Emery, welcher selbst in der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit der Tate Liverpool beschäftigt ist: „The idea of banning photography in galleries carries an expectation that people should follow an unwritten etiquette to engage with art. It implies that if you can’t behave yourself, then art isn’t for you. But art is supposed to be for everyone, and for that to mean something, galleries must accommodate for a variety of experiences.“
https://www.cjr.org/special_report/artforum-david-velasco-metoo.php
Die amerikanische Kunstzeitschrift Artforum gilt seit Jahrzehnten als das einflussreichste Magazin zur zeitgenössischen Kunst. Im Juli 2017 beschuldigte die ehemalige Mitarbeiterin Amanda Schmitt einen der vier Herausgeber, Knight Landesman, der sexuellen Belästigung, woraufhin dieser zurücktrat. Kyle Chayka beschreibt in seinem Artikel für den Columbia Journalism Review den Aufstieg des Magazins zur führenden Zeitschrift für zeitgenössische Kunst sowie den Ablauf und die Folgen der Affäre um Landesmann. Zudem analysiert sie die Veränderungen, welche unter dem neuen Chefredakteur David Velasco an der inhaltlichen, strukturellen und personellen Ausrichtung von Artforum vorgenommen wurden.
https://news.artnet.com/art-world/how-to-get-a-gallery-1621384
Brian Boucher hat für news.artnet.com elf Tipps für Künstlerinnen und Künstlern zusammengetragen, die auf der Suche nach einer Galerievertretung sind. Alle sind echte Evergreens; wer sich noch nie mit dem Thema beschäftigt hat, der findet hier wertvolle Hinweise. Alle anderen dürften kaum Neues zu lesen bekommen.
Johannes Bendzulla